AY, LA MEMORIA!

■ „Taller Teatral Berlin“ zeigt „Madame no quiere envejecer“

Madame, das ist Sarah Bernhardt. Schon alt und schwach, in die Kissen ihres Verandasessels versenkt, läßt die Geniale in der Aura des sonnengleißenden Meeres Bilder eines erlebten Lebens wiederauferstehen. Da stört doch was. Wer ist Pitou, der Sekretär, was will er nur? Richtig, er war eingestellt, ihre Memoiren niederzuschreiben. Also ans Werk. Ach, auch die Erinnerung altert, wird schwach. Unerreichbar? Nicht für Madame Bernhardt, die auf ein Leben auf der Bühne zurückblickt. Sie weiß sich einzufühlen, wie einst in die Rolle, so nun in ihr eigenes vergangenes Sein, im Spiel mit dem Partner. So kommt der ältliche, dienstfertige Pitou, der sich sträubt, zwischen Scheu und Gehorsam sich windet, schließlich zu seinem späten schauspielerischen Debut.

Und meistert es. Er spielt die Mutter - Sarah neu belebt, ist 27, dann elf. Scheu und trotzig ist sie vor dem ruppigen amerikanischen Impressario, in dessen Maske der ewige Diener Pitou der Versuchung nachgibt, die Herrenrolle auszuprobieren. Gleich ist er erschrocken, um so mehr, da Sarah nun den längst verflossenen Liebhaber in ihm zu erkennen scheint. Und sie wird nicht ruhen, bis er ihr auch noch ihren großen Freund und Bewunderer Oscar Wilde vorgespielt hat. Nacht ist es nun, morgendlicher Dämmer schon, doch Sarah hat ihren Lebensmut wiedergefunden.

Miguel Levin gibt aus eigener Subjektivität, wie Liebe zur Rolle schöpfend, Sarah eine überzeugende Bühnenexistenz, macht uns so ganz vergessen, daß ein Mann im duftigen Kleide steckt. Ihm gegenüber Jaime Minkan, dem es immer wieder humoresk einnehmend der Wandel zwischen der Großspurigkeit seiner Rollen und der behenden Unterwürfigkeit des Sekretärs Pitou gelingt.

Das vielgestaltige, doch immer wahrhaftige Spiel vermag unsere Aufmerksamkeit auf die in ihrem weichen, harmonischen Farbspiel alten Gemälden gleichende Bühne (Bild und Regie: Pedro Rubio) zu bannen, die doch zunächst im großen Saal der „Pumpe“ so winzig erschien.

„Madame no quiere envejecer“ (Madame will nicht altern) ist ein Stück, das bewegt, auch wenn es nicht mit großer Dramatik wirbt. Nicht nur ein Stück über einen alternden Star, auch eine Erinnerung an ein Theater, in dem eine Geste, ein gesprochenes Wort erschüttern konnte. Und ein Stück über die auch uns Jüngeren bekannten, seltenen Momente der Erinnerung, die, zwischen Wonne und Entsetzen, Euphorie und Verzweiflung schwebend, doch Hoffnung, Mut neu herausfordern.

Wer von der spanischen Sprache nicht viel mehr als ein paar Brocken für die Reise beherrscht, wird vielleicht leichten Groll empfinden, wenn ihm das Lachen der Verstehenden anzeigt, daß er eine Form des Genusses an diesem Stück verfehlt. Nun, um so mehr kann er sich den anderen hingeben: dem Schauen, dem Lauschen auf den Klang, dem Fühlen, wozu es nicht wenig Anlaß gibt. Und eine deutschsprachige Aufführung, die ein so ehrliches wie kunstvolles Spiel, Sprache und Bild zu solcher Einheit zusammenbringt, muß man erst einmal suchen.

glagla

„Taller Teatral Berlin“ zeigt „Madame no quiere envejecer“ bis 5.2. und 8.-12.2. in der Pumpe, Lützowstraße 42, 1/30.