AL will „bürokratiefixierte“ SPD auf Trab bringen

■ Auf dem Papier gibt es weitgehende Übereinstimmungen in der Hochschulpolitik von SPD und AL / Forderungen zur Mitbestimmung eine Frage der politischen Tradition und des Zeitraums / Wird der Atomreaktor des Hahn-Meitner-Instituts zum Testfall für die Koalition?

Experimente? Dieser Gedanke ist den Sozialdemokraten nicht ganz geheuer. „Wir leben in Deutschland. Also muß man den Fortschritt ins Gesetz schreiben“, lautet die Antwort des Landesgeschäftsführers und hochschulpolitischen Sprechers der SPD Hans Kremendahl auf die Frage, wie er sich Hochschulreform unter einem rot-grünen Bündnis vorstellt. Doch statt wie von linken Professoren gefordert den Hochschulen über eine sofort zu verabschiedende „Öffnungsklausel“ Freiraum für Mitbestimmungsexperimente zu gewähren (siehe taz von gestern), plädiert Kremendahl für eine Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) „noch in diesem Jahr“. Ziel: Die Beseitigung der schlimmsten Auswüchse konservativer Hochschulpolitik der letzten sieben Jahre. So soll in die Institutsdirektorien wieder Mitbestimmung einkehren und alle Hochschulgruppen dort mit Sitz und Stimme vertreten sein. Geht es nach der SPD, behalten die Professoren dort jedoch zunächst ihre absolute Mehrheit. Die Viertelparität in allen Gremien will Kremendahl erst in Angriff nehmen, wenn es in Bonn gelingt, das Hochschulrahmengesetz zu novellieren.

Hilde Schramm, die als Hochschulexpertin der AL wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen wird, begrüßt die Entschlußfreudigkeit der SPD, sich zügig an die Novellierung des BerlHG zu begeben. In puncto Mitbestimmung möchte sie jedoch eine umgehende Ausdehnung aller Spielräume. Verfassungsrechtlich müsse man da „konflikfreudig an der Grenze lavieren“.

Viertelparität

als Formel unstrittig

In welchem Zeitraum auch immer - als Formel ist die Viertelparität zwischen AL und SPD unstrittig. Aber, schränkt Hilde Schramm ein, „man soll nicht denken, daß man damit die Demokratie an den Hochschulen eingeführt hätte“. Während die AL-Politikerin die „traditionell bürokratiefixierte“ SPD in der Gefahr sieht, Demokratie als zu einseitig institutionell und formal zu begreifen, muß ihrer Meinung nach Viertelparität erst „inhaltlich gefüllt“ werden. Eigenverantwortlich sollen die Fachbereiche die Möglichkeit haben, ihre eigenen Studienordnungen zu entwickeln, gleichzeitig ihre Einzelinteressen in eine gesellschaftliche Verantwortung zu stellen. Die Voraussetzungen dafür umreißt sie mit den magischen Worten „Entbürokratisierung“, „Dezentralisierung“ und „erhöhte Selbstverantwortlichkeit der unteren gegenüber den höheren Hochschulgremien“: „Es hat doch keinen Zweck, den Fachbereichen Projektstudiengänge von oben zu verordnen.“

In einem vierseitigen Verhandlungspapier zur Hochschulpolitik hat die AL Vorschläge für eine BerlHG -Novellierung entwickelt, die eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes nicht voraussetzt. Was dort gefordert wird, klingt weniger visionär denn pragmatisch: Abwählbarkeit des Leiters einer Hochschule, Verzicht auch eine Dreiereinheitsliste bei seiner Wahl, Stärkung der Fachbereichsräte gegenüber dem Akademischen Senat (AS) durch Zuweisung von Aufgaben und Entscheidungskompetenzen usw.

Unstrittig bei beiden Parteien ist die Zurückdrängung des Staatseinflusses gegenüber den Universitäten. Die AL nimmt jedoch für sich in Anspruch, daß ihre Autonomievorstellungen viel weiter gehen: „Autonomie gegenüber dem Staat bedeutet nicht Autonomie gegenüber der Gesellschaft. Im Gegenteil.“ Für die Anbindung der Uni an die Gesellschaft plädiert die AL für einen alternativen Wissenschaftsrat, in dem auch die sozialen und politischen Projekte vertreten sind und beratend auf universitäre Forschung Einfluß nehmen können.

Gemeinsamkeiten zwischen AL und SPD lassen sich auf der Ebene der zentralen Hochschulgremien ausmachen: So legt Kremendahl auf die Stärkung der Kuratorien besonderen Wert. Dort sitzen Vertreter der Hochschulen, des Staates, der Parteien und der Wirtschaft. Zu sagen haben sie nicht mehr viel, seitdem die CDU der nichtöffentlich tagenden Personalkommission die wichtigsten Befugnisse übertrug.

Das will die SPD revidieren, zugleich die Zahl der Senatsbeamten reduzieren und möglicherweise Vertreter von Naturschutz- und Sozialverbänden in die Kuratorien schicken. Auch die AL will den staatlichen Einfluß in den Kuratorien zurückdrängen und die Personalkommission entmachten. Nach ihrer Vorstellung sollen darüber hinaus alle Kompetenzen, die die Struktur und die Stellenverteilung betreffen, auf den AS verlagert werden. Das Kuratorium soll sich künftig auf die Verabschiedung des Globalhaushaltes und Grundsatzentscheidungen bei Haushalts- und Personalwirtschaft beschränken.

Daß der zukünftige Wissenschaftssenator nicht mehr in Berufungsangelegenheiten hineinregieren kann, ist beiden Parteien eine Selbstverständlichkeit. SPD und AL sind sich einig, daß seine Kompetenzen über eine Rechtsaufsicht bei Berufungen in Zukunft nicht hinausgehen dürfen.

Weniger (rot) grün war man sich in der Vergangenheit in der Forschungsförderungspolitik. So lehnte die SPD noch 1987 drei Anträge der AL zur Transparenz bei der Vergabe von Forschungsmitteln durch den Senat und künftige Vergabekriterien ab bzw. entschärfte sie zu einem sogenannten Berichtsauftrag an den Senat. Auch ob die SPD bei der von der AL gewünschten Gegensteuerung gegenüber der „undemokratischen“ Bonner Forschungsförderungspolitik auf Landesebene mitziehen werden, wird von Hilde Schramm eher bezweifelt.

Ein handfesterer Konflikt zwischen AL und SPD bahnt sich indes um das Hahn-Meitner-Institut an. Während die AL in den Koalitionsgesprächen ohne Wenn und Aber verlangt hat, daß der zweite Atomreaktor des Instituts nicht in Betrieb geht, lehnt Kremendahl dies aus Sorge um die „Seriosität des Wissenschaftsstandortes Berlin“ ab.

Konfliktstoff wird es auch um die Akademie der Wissenschaften geben: Die AL plädiert für ihre Schließung, während die SPD sie demokratisieren, stärker an die Berliner Hochschulen anbinden und mit neuen Aufgaben wie der Organisation eines Wissenschaftsaustausches zwischen Ost und West betrauen will.

Dissenz bei An-Instituten

Nicht einmal die umstrittene CDU-Idee, ein neues Politik -Institut („Anti-Osi“) zu schaffen, will Kremendahl begraben. Erstmal will er das Projekt aufschieben - ebenso wie das teure Institut für Finanzdienstleistungen. Er sei kein Gegner eines solchen Instituts, betont er, „aber im Moment klemmt es an der Uni finanziell derart, daß sich der Senat solche Schnuckedützchen nicht leisten kann.“ Dagegen die AL: „Das sollen die Banken doch selbst bezahlen.“

In der Frage der privatwirtschaftlichen An-Institute an den Universitäten will Kremendahl vor allem die Wirtschaft stärker zur Ader lassen und die Kontrolle über die Forschung verbessern. Die Akademischen Senate sollen das Recht erhalten zu überprüfen, ob An-Institute die Anerkennung als universitäre Einrichtung behalten. Der AL ist das zu wenig. „Alles stoppen, soweit möglich, Bestehendes überprüfen“, lautet hier ihre Devise. Die AL sei nicht prinzipiell gegen Kooperationen mit außeruniversitären privaten Einrichtungen, so Hilde Schramm, nur müßten diese transparenter und organisatorisch von der Uni entflochten werden. „Nebentätigkeiten“ der Professoren außerhalb der Universität müßten zu Haupttätigkeiten werden.

Bei allen Unterschieden in Tradition und Detailfragen - zum Dollpunkt für eine rot-grüne Koalition wird die Hochschulpolitik aller Wahrscheinlichkeit nicht werden. Kommt sie zustande, dann dürfen sich auf jeden Fall schon mal die Tierschützer freuen: Das Zentrale Tierlaboratorium soll in rot-grüner Einmütigkeit stillgelegt werden.

bes/wist