Miguel, Straßenmusikant...

...wartet am Theaterausgang / Was er einnimmt langt für die Zimmermiete  ■  Aus Madrid Antje Vogel

Am frühen Abend setzt sich Miguel in einen der Plastiksessel im Korridor seiner Pension und wartet ob jemand vorbeikommt, mit dem er sich unterhalten kann. Ahmad, der Syrer gibt sich meist wortkarg, wenn er mit fünf Plastiktüten beladen die Treppe heraufkreucht. Er ist nicht mehr der Jüngste, und den ganzen Tag lang um einen Tapetentisch im Freien zu sitzen und Juwelen aus Blech feilzubieten, ist im Sommer ein ausdörrendes und im Winter ein tieffrierendes, in jedem Fall ein erschöpfendes Geschäft. Auch die junge Frau mit dem riesigen Busen und den knallengen Jeans, die, ein Handtäschchen im Arm, abends zur Wohnungstür stöckelt, um sich in den dunklen Gassen der Madrider Altstadt zu verlieren, nimmt sich für Miguel keine Zeit. Häufig bleibt er ein paar Stunden so, in den Sessel versunken, das Gesicht von der Schiebermütze verdeckt und horcht den Schritten der Pensionsgäste nach.

Kurz vor halb elf gerät Bewegung in ihn. Dann zieht er seine bordeauxrote Samtjacke an, schnallt sich die Ziehharmonika auf den Rücken und verläßt das Haus. Wenige Ecken weiter begrüßt er seinen Freund, der an der Straße auf einem Schemel sitzt und Schwarzmarktzigaretten und Süßigkeiten verkauft. Punkt halb elf stellt sich Miguel neben dem Theater auf, und wenn die elegant gekleideten Besucher herauskommen, setzt er seine Quetschkommode in Bewegung und hält ihnen die beiden Plastikbecher hin, die er an dem Instrument befestigt hat. Viel ist es nicht, was sie geben. Wenn er hinterher noch in ein paar Kneipen spielt, reicht es gerade, um das Zimmer in der Pension zu bezahlen, 700 Peseten, etwa zehn Mark am Tag.

„Gelernt habe ich die Musik nie“, sagt Miguel. Wir sitzen in einer Kneipe direkt neben dem Theater. Gelegentlich fragt er den Kellner nach der Uhrzeit und schaut prüfend, ob drüben schon die Ausgänge geöffnet wurden. „Ich habe immer nur zugehört. Dann habe ich irgendwann einmal billig diese Ziehharmonika gekauft, und seitdem mache ich das.“ Die Berichterstatterin findet insgeheim, daß seiner Musik diese pragmatische Einstellung anzuhören ist. Der Musiker ist klein, hat Augen wie eine Haselmaus und wenn er lacht, legt er einige Goldzähne frei, die sind aus besseren Tagen. Seine 52 Jahre sieht man ihm nicht an. Früher ist er lange Zeit zur See gefahren, dann hat er ein paar Tage in Frankreich gearbeitet. Doch als er dort arbeitslos wurde, hat er keinen Job mehr gefunden, auch hier nicht, als er zurückkehrte. Dann ergab sich das mit der Ziehharmonika. „Irgendwas muß man ja schließlich machen, um sich durchzuschlagen.“

Mittags geht er in eine katholische Sozialstation essen, das kostet nichts. Sonst gibt er kein Geld aus. „Rauchen tu ich nicht und trinken ganz selten einmal. Nur ein Laster habe ich: die Frauen“, betont er und lacht provozierend. Geheiratet hat er nie. Einmal hatte er es vor, das war, als er in Frankreich lebte. Aber dann hat sie ihn betrogen, und es war vorbei mit den Heiratsabsichten. Heute will er gar nicht mehr heiraten, behauptet er. Wozu denn. Doch gleich darauf widerspricht er sich selbst: „Willst du mich heiraten?“ fragt er die Berichterstatterin. „Du könntest kochen, und ich bräuchte nicht mehr in die Sozialstation. Und auch sonst hätte ich einiges zu bieten. Na, wie wär's?“ Dann grinst er verlegen, nimmt einen letzten Schluck Bier und zieht los. Es ist halb elf Uhr und gleich geht die Theatervorstellung zu Ende.