Tod eines Intellektuellen

■ Am vergangenen Freitag starb John Cassavetes

Anfang der 70er Jahre sah ich zum ersten Mal Robert Aldrichs Dirty Dozen. In dem Film spielen jede Menge Stars mit. Aber ein Schauspieler, dessen Namen ich noch nie gehört hatte, fiel mir besonders auf. Er hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht, einen durchdringenden Blick und dieses herrliche schmale, diabolische Lächeln. Sein Name war John Cassavetes. Eine Woche später sah ich ihn wieder, diesmal in Polanskys Rosemary's Baby und seine schauspielerische Leistung war genauso beeindruckend.

John Cassavetes war ein Intellektueller, und das ist in Hollywood immer ein Nachteil. In den amerikanischen Traumfabriken zählt nur der Erfolg, der finanzielle Erfolg natürlich. Ein Schauspieler in Hollywood ist zunächst einmal Angestellter einer Firma. Künstler ist er erst in zweiter Linie. Aber jeder amerikanische Schauspieler, der den nötigen Ehrgeiz hat und über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, hat sich auch schon hinter der Kamera versucht. Als Cassavetes 1953 nach Hollywood ging (nach einer Schauspielausbildung in New York) war für ihn klar, daß er sich nicht auf die Schauspielerei beschränken würde. Schon 1954 stellte er seinen ersten Film The Night Holds Terror vor. Der große Durchbruch als Schauspieler gelang ihm 1956 mit Martin Ritts Edge of the City (Ein Mann besiegt die Angst). Seine unabhängige Produktion Shadows (1960) machte ihn auch als Regisseur berühmt. Shadows handelt von einer schwarzen Familie, zwei Brüdern und ihrer Schwester. Lelia, geht mit weißen Männern aus, und die Reaktion ihres älteren Bruders darauf sorgt für die wesentliche Spannung des Films. Der Film gilt heute als der Anfang des New American Cinema, er brach beinahe alle Erzählregeln des kommerziellen Kinos. In Schwarzweiß auf 16 mm gedreht, war er über weite Strecken improvisiert, Szenen dauern beliebig lange. Die klassische Hollywood -Schnittechnik, das schnelle Hin- und Herschneiden, mit der man eine simple Geschichte aufmotzen kann, fehlt völlig. Das sollte auch Cassavetes spätere Filme auszeichnen. Es sind liebevolle Charakterstudien. Der Zuschauer hat Zeit, die Leute kennenzulernen.

Seine eigenen Filme brachten ihm zwar viele Preise ein, waren aber keine großen Kassenschlager, und so nahm Cassavetes immer wieder kleinere und einige größere Rollen (Das dreckige Dutzend, Rosmary's Baby, The Fury) an und er spielte in der lange laufenden Fernsehserie Johnny Staccato. Diese Rollen verschafften ihm die finanzielle Grundlage für seine eigenen Regieprojekte. Cassavetes‘ Filme waren auch immer Bühne für seine Frau, die wunderbare Gena Rowlands, und seine Kumpel Peter Falk und Ben Gazzara. Seine und Gena Rowlands Mutter tauchen genauso in seinen Filmen auf wie diverse Kinder und angeheiratete Verwandte. Das schadet den Filmen nicht, im Gegenteil. Ich wünschte, er und sein Clan könnten ewig weiter drehen.

Good Bye Mr. Cassavetes. Ich sehe Sie nächste Woche, denn solange es Zelluloid gibt, werden Sie nicht sterben.

Karl Wegmann