„Lebenslänglich“ für die Hintermänner Pinzners?

Morgen geht in Hamburg der Prozeß um die Morde des St.-Pauli-Killers Werner Pinzner zu Ende / Auftraggeber und Mittäter haben mit lebenslänglichen Haftstrafen zu rechnen  ■  Aus Hamburg Hilmar Zschach

Morgen wird nach über 100 Verhandlungstagen der Prozeß um die Morde des St.-Pauli-Killers Werner Pinzner zu Ende gehen. Das Hamburger Schwurgericht wird mit seinem Urteil den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen und alle drei Angeklagten zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilen. Als Hauptangeklagter wird Peter Nusser angesehen. Ihm und seinen beiden Mitangeklagten wird vorgeworfen, Auftraggeber und Mittäter der Morde des gedungenen Killers Pinzner gewesen zu sein.

Im Frühjahr 1986 war Werner Pinzner von der Polizei festgenommen worden und hatte überraschend ein umfangreiches Mordgeständnis abgelegt. In diesem Geständnis gab er an, fünf Menschen getötet zu haben. Der Kopfpreis lag zwischen 20.000 und 30.000 Mark. Bei den Opfern handelte es sich sämtlich um Männer aus dem Zuhältermilieu, die von ihm in München, Kiel und Hamburg hingerichtet worden waren.

Juristenstreit um Zeugenaussagen

Die nun wegen Mordes Angeklagten sind von Pinzner in seinem Geständnis belastet worden. Unklar ist, inwieweit die Aussagen des mittlerweile toten Pinzners zu verwerten sind. Pinzner hatte im Sommer 1986 während einer Vernehmung im Hamburger Polizeipräsidium mit einem eingeschmuggelten Revolver den Staatsanwalt Wolfgang Bistry ermordet, danach seine eigene Ehefrau Julia auf deren Wunsch und anschließend sich selbst getötet. Die Strafverteidiger in diesem Prozeß bestreiten die Verwertbarkeit der belastenden Aussagen Pinzners. Sie argumentieren, daß diese auf rechtswidrige Art und Weise herbeigeführt worden seien. Polizei und Staatsanwaltschaft habe dadurch gegen die strafprozessuale Vorschrift des Paragraphen 136a verstoßen, daß sie Pinzner gesetzlich nicht vorgesehene Vorteile versprochen oder gewährt hätten, um ihn aussagebereit zu machen.

Sicher ist, daß Pinzner als Häftling erster Klasse behandelt worden ist, nachdem der Verfolgungsbehörde klar war, daß sie mit seiner Hilfe einen Teil der kriminellen Kiez-Szene ausheben konnte. Zwar hat sich in der Hauptverhandlung bald gezeigt, daß die Presseveröffentlichungen, nach denen Pinzner mit seiner Ehefrau unter Polizeibewachung ins Bett gehen durfte, und andere boulevardträchtige Behauptungen Zeitungsenten waren, so blieb doch, daß er anders als sonst üblich, wesentlich längere und intensivere Besuchstermine mit seiner Ehefrau gestattet bekommen hatte. Hiermit wird bei einer Anrufung des Bundesgerichtshofes in der Revisionsinstanz jedoch kaum ein prozessualer Verstoß gesehen werden können.

Anders liegt der Fall bei einem weiteren Hauptbelastungszeugen. Diesem Hamburger Bordellier hatte die Polizei gestattet, nach seiner Verhaftung seine Kiezgeschäfte aus dem Untersuchungsfängnis heraus abzuwickeln. Es war ihm dabei sogar ein Polizeibeamter behilflich, die ausstehenden Puffgelder ins Polizeipräsidium zu transferieren. Eine für bundesdeutsche Verhältnisse bislang unbekannte Zuvorkommenheit, wenn es darum geht, Kronzeugen ohne Kronzeugenregelung bei Laune zu halten. Da die Staatsanwaltschaft ihr ganzes Anklagegebäude auf eben diesen beiden Zeugen aufbaut, wird sich der Bundesgerichtshof im Zuge der anstehenden Revision mit der Verwertbarkeit solcher Zeugenaussagen zu beschäftigen haben.

Fast alle Zeugen

sind auch Täter

Parallel zum Nusser-Prozeß läuft das sogenannte Klemm -Verfahren, in dem sich die Hamburger Kiezgröße Reinhard Klemm (unter Freunden Ringo) und zwei seiner Geschäftsfreunde gegen den Vorwurf der Beihilfe zum Mord an Staatsanwalt Bistry verantworten müssen. Ihnen wird vorgeworfen, die Tatwaffe organisiert zu haben, mit der Werner Pinzner im Hamburger Polizeipräsidium seinen letzten Mord begann. Längst ist die Staatsanwaltschaft von ihrer ursprünglichen Theorie abgerückt, daß auch dieser Mord ein kiezpolitischer Auftrag gewesen sei, um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in der Hansestadt zu erschweren. Im Strafverfahren gegen die ehemalige Pinzner-Anwältin Isolde Oechsle-Misfeld hatte der Ankläger eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord gefordert. Das Gericht - eine andere Strafkammer als das im Klemm-Verfahren erkennende Gericht sah allerdings nur fahrlässige Tötung.

Diese unterschiedliche Einschätzung in der juristischen Bewertung liegt zur Zeit zur Prüfung beim Bundesgerichtshof. Erheblich ist dabei nur die Frage, ob diejenigen, die dem erklärten Mörder Pinzner eine Waffe ins Polizeipräsidium schmuggelten, davon ausgehen konnten, daß Pinzner lediglich Selbstmord begehen wollte, oder ob sie ernsthaft damit rechnen mußten, daß er weitere Menschen wie den Staatsanwalt mit in den Tod nimmt. Die Staatsanwaltschaft, die im Verfahren gegen Oechsle-Misfeld darauf beharrte, daß letzteres der Fall, also Beihilfe zum Mord, gegeben sei, hatte im Klemm-Verfahren dagegen lediglich wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Die Richter des Klemm -Prozesses allerdings hatten bei Zulassung der Anklage eins drauf gesattelt und verhandeln nun wegen Beihilfe zum Mord.

Die Erfahrung, daß nirgends auf der Welt soviel gelogen wird wie im Gericht, findet in den laufenden St.-Pauli -Prozessen ihre Bestätigung. Hinzu kommt, daß alle entscheidenden Zeugen Menschen aus dem Milieu sind, die zum Teil selbst in Straftaten verstrickt sind. Oft ist nicht zu erkennen, ob sie ihre Haut retten wollen, indem sie, je nach Betrachtungsweise, belastend oder nicht belastend aussagen. Größtenteils sind es Persönlichkeiten von denen man kaum einen Gebrauchtwagen kaufen würde, die Staatsanwaltschaft und Gericht aber gebrauchen, um verurteilen zu können. Da es bei den Angeklagten um alles oder nichts geht, ist verständlich, besonders im Nusser-Verfahren, in dem allen Angeklagten lebenslängliche Freiheitsstrafen drohen, wenn von der Verteidigung auch die allerletzte prozessuale Karte ausgereizt wird.

Das Alltagsgeschäft auf dem Hamburger Kiez geht im wesentlichen ungestört weiter. Die unheilige Allianz, aus Zuhältern und Stadtvätern, die ordnungsgemäße Bordell -Lizenzen vergeben, treibt ihre gewinnträchtigen Blüten. Es gilt das hanseatische Gentlemenagreement: Polizei, Staatsanwaltschaft, Senat und Presse sorgen dafür, daß die Prostitution in dieser Stadt florieren kann, gemeint ist die Prostitution, aus der Zuhälter ihren Gewinn ziehen.