Franzosen haben die Revolution satt

■ Schon nach einem Monat erwacht Frankreich aus dem Jubiläumsrausch / Danton als Soap-opera-Star im Fernsehen sowie zwei Skandale verschrecken die BürgerInnen

Pünktlich zum Jahresbeginn hatte meine Bäckersfrau ihr Schaufenster revolutionär ausgeschmückt. Pralinen und Bonbons im offiziellen Jubiläumsdekor, besteckt mit der nationalen Fahne, bietet sie seither den Parisern feil. „Bürger, Citoyen, auf zu den Waffen! Die Karamelbonbons sind da. Die blauen mit Vanille, die weißen mit Mokka, die roten mit Schokolade. Vorwärts - 1989.“ Diesen Werbespruch hat meine Bäckersfrau auf jede ihrer Konfektschachteln geklebt. Doch heute schaut sie traurig aus: „Die Sachen kauft ja keiner. Und Touristen kommen nicht in unser Stadtviertel.“ Sie schafft es nicht, den Parisern das Jubiläum zu versüßen. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, hat die Schreibwarenhändlerin ihre kleine Buchauslage zur Revolution bereits wieder abgeräumt: „Das Revolutionsgeschäft ist vorbei“, meint die tüchtige Geschäftsfrau.

Lange Zeit hatte sich Frankreich auf das 200jährige Jubiläum der Revolution vorbereitet. Alle wollten dabeisein, niemand wollte den Anschluß versäumen, nicht der Kleinhändler, nicht der Historiker und auch nicht der Präsident. Gleich zum 1.Januar hielt Mitterrand eine Ansprache ans Volk über die republikanischen Werte. Doch man hatte den Tag noch vor dem Abend gelobt.

„Schnauze voll von diesem Jubiläum!“ titelt das Pariser Zeitgeist-Magazin 'Globe‘ in diesem Monat. „Gestehen wir es ein“, fordert die Zeitung die Franzosen auf, „auch wenn das Jahr gerade erst beginnt, sind wir doch bereits der Dinge müde, die sich uns mit dem Revolutionsetikett darbieten.“ Von Langeweile im Revolutionsjahr hatte bisher niemand so offen gesprochen.

Wolkenlos hatte sich noch vor kurzer Zeit der französische Festhimmel präsentiert.

War nicht Fran?ois Mitterrand erst im vergangenen Jahr bei seiner Wiederwahl vom französischen Volk auserkoren worden, die Nation zur großen Feier zu geleiten?! Hinter ihm hatten die französischen Historiker rechtzeitig ihren Streit über die Revolution beigelegt. Wie auf seinen Wunsch preisten die Intellektuellen des Landes bisher im Einheitschor die großen Werte der Republik und nicht mehr. Derweil wagte kaum ein Politiker von Rang, das staatliche Festprogramm für 1989 zu kritisieren. Kurz und gut, „alles war vorbereitet, damit 1989 zu einem großen, diplomatischen und 'historischen‘ Jahr gemacht werden konnte“, wie es die Pariser Tageszeitung 'Le Monde‘ am Dienstag leicht ironisch bemerkte.

Sechs Wochen dieses „großen“ Jahres genügten, um die Jubiläumsstimmung in Frankreich umschlagen zu lassen. „Wir sind auf einem Irrweg. 1789-1989 ist schließlich nur eine kolossale Medienerfindung für die Verdummung und die Gehirnwäsche“, schimpf heute der französische Filmemacher Jean-Jacques Beineix (Diva). Allgemeine Empörung herrscht inzwischen sogar bei etablierten Pariser Intellektuellen über die TV-Vermarktung der Revolution. Showprozesse im Fernsehen, bei denen Zuschauer die 1792 hingerichtete Königin Marie-Antoinette von der Schuld freisprachen, gerieten zur lächerlichen Komödie. Schlimmer noch die täglich angesetzte TV-Soap-Opera Procole, benannt nach dem ältesten Bistro von Paris, bei der Danton und Freunde zu volkstümlichen Boulevardfiguren verkommen. „Ich habe Angst, daß unser Jubiläum nur aus falschem Glanz, Spektakel und Maskenspiel bestehen wird“, sorgt sich Max Gallo, Historiker unter Frankreichs führenden Sozialisten.

Gallos düstere Feststimmung kommt nicht von ungefähr. Denkbar dünn und oberflächlich präsentiert sich bei genauerem Hinsehen, was Mitterrand der Nation zur Feier vorschreibt. Da will man im ganzen Land „Freiheitsbäumchen“ planzen im März, dann sollen die Generalstände symbolisch noch einmal im Versailler Königsschloß zusammentreten (im Mai), und schließlich wird der Präsident höchstselbst am 14.Juli, dem Nationalfeiertag der Revolution, jene „Volksoper“ einweihen, die er zu seinen und der Nation Ehren bauen ließ, um sich anschließend mit den sieben Regierungschefs der reichsten Industrieländer beim Weltwirtschaftsgipfel zu vergnügen. Jean-Jacques Beineix ist dieses staatliche Spektakel-Programm zuviel: „Ich kann nicht akzeptieren, wenn der Staat die öffentliche Meinung und die freischaffende Kunst - sei es auch im Gedächtnis an ein Ereignis wie die französische Revolution - derart manipuliert.“

Beineix Worte kündigen an, daß Mitterrand die Kontrolle des Festes zu entgleiten droht. Schon hat der im Januar aufgebrochene öffentliche Skandal um die Dirigentenbesetzung in der Pariser „Volksoper“ am Prestige des Mitterrandschen Festdenkmals genagt. Dann ließ der Börsenskandal den Verdacht entstehen, engste Freunde des Präsidenten könnten dem Gesetz entweichen, weil Mitterrand sie mit monarchistischer Willkür in Schutz nehme. Beide Affären verdarben den Franzosen in diesem Jahr schnell die Lust am Feiern mit ihrem Präsidenten.

Die politischen Skandale geraten in Widerspruch zur bereits vorausgeschickten Selbstbeweihräucherung der Republik anläßlich der Jubiläumsherrlichkeiten. In dieser gesellschaftlichen Atmosphäre kann die Feier nicht weit gehen. Der historisch-moralische Konsens, in dessen Zeichen Politiker, Intellektuelle, Medien und andere Geschäftemacher das Fest auf lukrative Weise abzuhalten gedachten, erweist sich immer deutlicher als erstickend und den Profiten eher hinderlich.

Wie gerufen erschien deshalb Frankreichs schönster und berühmtester Salonrevolutionär, Regis Debray, in den letzten Tagen des Januars auf der Jubiläumsbühne. Debray, der plötzlich von allen Fernsehanstalten und Zeitungen zu langen Interviews gerufen wird, empfindet heute „Scham und Ärgernis“, wenn er an sein Vaterland denkt. „Wenn man nicht mehr für die Republik sterben will, dann heißt das, die Republik ist tot“, entrüstet sich mediengerecht und aufsehenerregend der einstige Guerilla-Held, der an der Seite Che Guevaras kämpfte. Doch ob er die derzeitige Stimmung im jubiläumsmüden Frankreich herumzureißen vermag, ist fraglich. In den Pariser Kaufhäuser war der Winterschlußverkauf bereits „revolutionär“. Als Steigerung für den Sommerschlußverkauf bleibt nur noch „konterrevolutionär“.

Georg Blume, Paris