IM ZEITALTER DER WETTERFRÖSCHE

■ „Die Zeit und das Zimmer“ von Botho Strauß in der Schaubühne

Hereingelassen in den Saal B der Schaubühne, eröffnet sich dem Publikum der Blick in ein Zimmer. Vom Block A sieht man von der Stirnseite hinein, Block B genießt die volle Breitseite. Die Wände zum Publikum sind angedeutet am Boden durch eine niedrige Balustrade, von der Decke herab ein weiteres Stück Wand, die Ecke wird angedeutet durch einen Pfeiler, so daß sich der Blick ins Zimmer wie in einen Guckkasten eröffnet. Rechts befindet sich an der hinteren Seite des Raumes eine alte Flügeltür, die sich als Wohnungstür erweisen wird. Umrahmt ist sie von aufgemalten Dekorationen, die noch aus der Zeit der Erbauung stammen mögen. Links neben der Tür begrenzt die Malerei ein „Dienst“, das ist eine Halbsäule mit üppig verziertem Kapitell, in dem sich auch ein kleiner Kopf befindet. Die darauf folgende Längswand mit drei ungewöhnlich hohen, vierfach geteilten Fenstern ist irgendwann einmal, von welchem Bewohner auch immer, mit einem zweifarbigen Anstrich versehen worden. Die linke Querseite ist unauffällig weiß gestrichen mit einer ebenso unauffälligen Tür zu einem weiteren Zimmer und einem Einbauschrank, zwischen denen sich eine breite Treppe befindet, die in eine andere Ebene führt. Das Zimmer ist spärlich möbliert. Zwei breite blaue, vielleicht neubezogene, altmodische Sessel, davor ein Beistelltischchen für den Aschenbecher, ein Stuhl steht in der Ecke, auf dem ein Schachbrett liegt in einer Stellung, über die noch nachgedacht wird und ein kleines Schränkchen mit mehreren Laden.

Im offenen Zimmer sitzen Julius und Olaf schon bereit. Und auf Kommando zünden sie sich Zigaretten an. Der eine schaut aus dem Fenster, der andere in den Raum. Es sind zwei Wetterfrösche, je nachdem, wer von den beiden hinausschaut, regnet's oder scheint die Sonne. Und während der eine plaudert, was er auf der Straße sieht an einem Februarmorgen: tauende Schneemassen mit Hundescheiße und eine junge Frau mit schwarzen Strümpfen, einem kurzen schwarzen Rock - bei diesem Wetter - und einem grünen Pullover, klingelt es alsbald, und Julius betätigt den Knopf, der praktischerweise auf dem Fensterbrett angebracht ist, aus dem er sich gewöhnlich hinauslehnt. Natürlich tritt nun ein die junge Frau, die eben noch aus einer anderen Welt beschrieben wurde und erzählt ihre Geschichte, wie sie am Flughafen ankam, genervt von Hunderten unterscheidungslosen Koffern irgendeinen griff, und schließlich einen Mann, Frank Arnold, ansprach, der die Unverschämtheit besaß, sich als eben diesen auszugeben. Es kann nicht weiter verwundern, daß beim nächsten Klingeln ein „Mann ohne Uhr“ hereintritt, der mit Unbestimmtheit sicher weiß, daß er sie gestern dort vergessen haben muß. Und es ist nur unlogisch logisch, daß seine Partnerin, „die Ungeduldige“, von gestern abend hereinschneit, die dort fortsetzen will, was gestern unterbrochen wurde. Daß dieser Mann im Zimmer mit Marie Steuber, der Frau vom Flughafen, ins Gespräch kommt, verwundert nicht. Eher sind ihre verbalen Annäherungsversuche nach dem Schema „Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?“ der Hinweis auf die gleichgültige Vergeßlichkeit von Eintagsfliegen, die sich abends schon nicht mehr an den Morgen erinnern. Aber da sie nichts versäumen wollen, weil sie schon einmal sich oder die Gelegenheit verpaßt haben, stürzen sie die Treppe hinauf, um zeitenthoben neutralisiert den körperlichen Gelüsten nachzugehen.

Zwischendurch kommt ins Zimmer empört der richtige Frank Arnold, der Marie beschimpft, sie hätte ihre Gelegenheit verpaßt, weil sie schließlich nicht mal fünf Minuten habe warten können.

Die ineinander zeitlich und räumlich durcheinander geratenen Figuren werden zusätzlich noch ergänzt durch eine scheinbar tote Frau, „die Schlaffrau“, die aus einem brennenden Haus von „einem Mann im Wintermantel“ hereingetragen wird, unter dem noch sein Pyjama hervorschaut, und als er wieder hinauskomplimentiert worden ist, fragt man sich, was denn der junge Mann, „der völlig Unbekannte“, dort zu suchen hat.

Aber die Frage beantwortet sich von selbst, wenn allmählich der Raum, der dominiert wurde von den augenscheinlich jetztigen Bewohnern, den beiden Herren Julius und Olaf, die das Kommen und Gehen stoisch über sich ergehen lassen, die sich in der Kleidung gleichen wie ein Beamter einem anderen, dann wird das Zimmer durch andere Bewohner, die zwar immer noch dieselben sind, bevölkert. Eindrucksvoll wird dann die Schlacht um Liebe wie ein Boxkampf durchgeführt, in dem die Protagonisten sich mit Worten schlagen, während der Frau von ihren Sekundantinnen assistiert wird, und zwei Männer ihrem Mann die Ratschläge erteilen. Dabei hat sich das Zimmer nicht verändert. Nur die Geräuschkulisse, die ansonsten den Großstadtlärm ins Zimmer dingen läßt, notiert ein paar Tiefschläge. Es ist verblüffend zu sehen, wie die Schauspielerinnen und Schauspieler jede Situation so prägen, daß ein neuer Raum entsteht, obwohl es augenscheinlich doch derselbe mit demselben Mobiliar geblieben ist. Es kann auch nicht an dem Licht liegen, das mal heller, mal trüber durch die geputzten Scheiben dringt. Die Häuserwand der gegenüberliegenden Straßenseite bleibt immer gleich.

Nur kurz vor Schluß, nachdem sich schon der Kreis geschlossen hatte und unsere beiden Wetterfrösche Julius und Olaf sich erneut zanken wie man sich so zanken kann, wenn man aufeinander hockt, sich gleicht und obendrein noch eifersüchtig auf einander ist, weil einer mal im Licht und ein anderes Mal im Schatten steht.

Dann stehen unterhalb der Treppe Ledersessel, auf denen sich Bewerber flezen und sich männlich auf der Karriereleiter anmachen.

Aber auch im fortgesetzten Büroalltag mit all den Spielchen, die man so kennt zwischen Kantine, Sekrtärin, Handlungsreisendem, hier findet die Zeit im Zimmer ihr Ende, wenn wieder mal zwei Menschen einander begegnen, die nicht mehr wissen, ob sie sich kennen oder nicht. Und sie verhalten sich wie Wetterfahnen, die sich im Wind drehen wie die Wetterfrösche es vorhersagen.

Es ist die Klage der Beliebigkeit, was kümmert es die Fahne, woher der Wind weht. Sie nimmt ihn hin und dreht sich in den Wind.

So wie die Schauspieler der Schaubühne unter Luc Bondys Regie agieren, vermitteln sie wieder einmal die Idee von Botho Strauß, der nur noch Figuren auf dem Schachbrett kennt, ohne daß die Figuren wissen, daß sie doch nur hin und hergeschoben werden in immer neuen Konstellationen, um möglichst eine Dame zu gewinnen und einen König matt zu setzen. Und das ist ein altes Spiel, und immer wieder neu in jedem Raum, zu jeder Zeit.

Qpferdach