Gefahr für „runden Tisch“ vorerst gebannt

■ 8.000 Bergarbeiter im polnischen Braunkohlerevier von Belchatow nehmen ihre Arbeit wieder auf / Regierung sah Verhandlungen in Frage gestellt / Streikkomitee warnt vor Provokationen durch Gegner des „runden Tisches“ / Walesa nicht unumstritten

Berlin/Warschau (taz/dpa) - Der Streik von 8.000 Bergarbeitern in dem trostlosen Braunkohlerevier Belchatow südwestlich von Warschau ist beendet. Gegen 4 Uhr 30 am Donnerstag morgen unterzeichnete Alojzy Pietrzyk, der Beauftragte von Arbeiterführer Walesa, ein Übereinkommen mit der Betriebsleitung, das den Arbeitern eine Lohnerhöhung von 21.000 Zloty (knapp 80 Mark) und einen neuen Tarifvertrag im nächsten Monat garantiert. Der Streik hatte am Montag begonnen und die Energieversorgung des Landes ernsthaft bedroht.

Darüber hinaus hatte am Mittwoch abend Regierungssprecher Jerzy Urban in Warschau erklärt, der Streik stelle den Sinn des „runden Tisches“, an dem die Verhandlungen zwischen Regierung und Oppsition stattfinden, in Frage. Unter einer Streikdrohung zu einem Übereinkommen zu gelangen, sei unmöglich. Das Streikkomitee betonte, man habe sich aus Sorge um die politische Situation im Lande und um den „runden Tisch“ nicht zu gefährden, zur Aussetzung des Streiks entschlossen.

Unter dem Eindruck des Streiks forderte Arbeiterführer Walesa in Warschau indessen, die Gewerkschaft schnell zu legalisieren, um eine weitere „Desorganisation“ im Lande aufzuhalten. Dahinter steht die Furcht, Gegner der in Warschau stattfindenden Verhandlungen könnten die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft ausnutzen und mit wilden Streiks die Gespräche zu boykottieren versuchen.

Daß Walesas Linie keineswegs unumstritten ist, zeigt eine Erklärung der „Konföderation Unabhängiges Polen“ (KPN), die am Mittwoch in Warschau veröffentlicht wurde. Darin wird nicht nur der Verhandlungsgruppe von Solidarnosc am runden Tisch das Recht abgesprochen, die ganze Bewegung zu vertreten, sondern der Sinn von Verhandlungen „mit der totalitären Macht“ grundsätzlich in Frage gestellt. KPN ist von Walesa an den Verhandlungen mit der Regierung nicht beteiligt worden.

Walesa hat inzwischen über den polnischen Rundfunk dazu aufgerufen, vorläufig auf Streiks zu verzichten, um die Verhandlungen nicht zu stören. Walesa war von Danzig nach Warschau gefahren, um an den Beratungen der Kommission für Gewerkschaftsfragen im Rahmen des „runden Tisches“ teilzunehmen. Von dort aus will er noch nach Nowa Huta bei Krakau fahren. Die Arbeiter der dortigen Kokerei verweigern seit Montag jede Überstundenarbeit. Nowa Huta war bereits im Mai und August letzten Jahres eines der Hauptstreikzentren gewesen. Das Parteiorgan 'Trybuna Ludu‘ beziffert die Zahl der sozialen Konflikte im Januar diesen Jahres auf 173. „Diese Welle gefährdet den Demokratisierungsprozeß“, warnte die Zeitung.

Klaus Bachmann