Gesinnung ist lebenslang nicht prüfbar

Das Sigmaringer Verwaltungsgericht hatte den Fall eines anerkannten Kriegsdienstverweigerers zu verhandeln, der als Brigadist nach Nicaragua ging / Widerspruch des Bundesbeauftragten gegen Anerkennung zurückgewiesen  ■  Von Dietrich Willier

Sigmaringen (taz) - Ein Ölgemälde schmückt den tristen Verhandlungssaal des Sigmaringer Verwaltungsgerichtshofs. Erhöht, auf reichgeschmückten Podesten, sieht man die Obrigkeit thronen, zu ihren Füßen örtliche Würdenträger und das Volk. Es gilt eine Untertänigkeitserklärung der Hohenzollern unter preußisches Reichsgebiet zu unterzeichnen. Die drei Gerichtsherren im gestrigen Verfahren aber wollten dem Verdikt nicht mehr folgen. In der Verhandlung gegen einen 33jährigen Ulmer Kriegsdienstverweigerer kamen sie zu dem weisen Ratschluß: Wir können doch nicht die Gesinnung von schätzungsweise fünfhunderttausend Kriegsdienstverweigerern bis an ihr Lebensende prüfen. Also fällten sie ihr Urteil: Der Widerspruch der Tübinger Wehrbereichsverwaltung gegen die Anerkennung des 33jährigen Kriegsdienstverweigerers Joachim Schraivogel ist zurückgewiesen. Bereits vor dreizehn Jahren hatte Joachim S. seine Gesinnungsprüfung als Kriegsdienstverweigerer erfolgreich überstanden und den Ersatzdienst absolviert. Zehn Jahre später ging er zusammen mit fünf weiteren Kriegsdienstverweigerern - aber auch einem ehemaligen Bundeswehrsoldaten - als Arbeitsbrigadist nach Nicaragua. In Loma Alta, einem grenznahen Dorf im Norden, arbeiteten die Brigadisten an einer Trinkwasser-Anlage, die unter anderem helfen sollte, die Kindersterblichkeit zu senken.

Während ihrer Arbeit hörten die Brigadisten nur wenige Kilometer entfernt Gefechtslärm von Kämpfen zwischen der nicaraguanischen Armee und Contrabanden. Loma Alta müßte im Ernstfall von elf Jugendlichen, Frauen und Kindern verteidigt werden. Nach langen Diskussionen beschlossen die Brigadisten, sich jeweils für ein paar Stunden an gemeinsamen Nachtwachen zu beteiligen - mit Gewehren.

Ein paar Monate später, die Arbeitsbrigadisten waren längst wieder zurückgekehrt, erschient ein Artikel in einer Stuttgarter Sonntagszeitung. Von Kriegsdienstverweigerern mit Kalaschnikow wurde in einem Kommentar geschrieben. Drei der Brigadisten wehrten sich daraufhin mit einem Leserbrief.

Jetzt aber witterte Roland Sauer, Stuttgarter Hinterbänkler im Bonner Bundestag, Morgenluft. In einem weiteren Leserbrief erfand Sauer Parallelen zu RAF-Sympathisanten, Kommunisten und Drogendealern. Sein Indiz: Die Brigadisten waren, wie andere auch, der Kosten wegen, von Ost-Berlin über Havanna nach Nicaragua eingereist. Ein Spezi Sauers, der Bundesbeauftragte für Zivildienst, übernahm daraufhin den Fall.

Drei der Brigadisten wurden erneut vor den Prüfungsausschuß für Kriegsdienstverweigerer zitiert und erneut anerkannt: Vorbereitung auf einen Notwehrfall hieß ihr Spruch. Doch der Bundesbeauftragte ließ nicht locker: Die drei hätten ihre Gesinnung geändert, und sich ihr grundgesetzliches Recht verscherzt - jetzt gehe man bis zur letzten Instanz. Von Gefährdung öffentlicher Interessen war die Rede, ein weiterer Prüfungsausschuß verfügte die Aberkennung des Status der Verweigerer.

Wenn heute jemand sagt, ich gehe jetzt zur Fremdenlegion, so die Vertreter der Bundesrepublik gestern vor Gericht, genieße er nicht mehr den grundgesetzlichen Schutz auf Kriegsdienstverweigerung, ein Gesinnungswandel habe sich im vorliegenden Falle aktualisiert. Die drei Verweigerer hätten nicht nur zu den Waffen gegriffen, sondern sich gar in ein militärisches Organisationsschema eingegliedert. Und wer sich so verhalte, müsse sich auch gefallen lassen, daß sein Grundrecht überprüft werde. Die Gefahr nämlich, daß der Status der Kriegsdienstverweigerung in Gefahr gerate, sei von öffentlichem Interesse. Hier stünde schließlich nicht das Interesse des einzelnen, sondern das Bild des Verweigerers im Vordergrund: Wer um keinen Preis schießen will, gehe auch nicht in ein Gebiet, in dem die Gefahr besteht, daß geschossen wird.

Doch auf Sachargumente wollte sich das Sigmaringer Verwaltungsgericht gar nicht einlassen. Erstens sei das Tübinger Kreiswehrersatzamt als Widerspruchsbehörde nicht zuständig, außerdem sei bei einer Aberkennung des Verweigererstatus nicht -wie erfolgt - der Verweigerer, sondern die Behörde nachweispflichtig. Willkürlich seien die drei Verweigerer unter einer halben Million anderer herausgegriffen worden. Auch deren Gesinnung habe sich schließlich wandeln können; überprüft wurde bisher keiner.

Es sei nicht ihre Aufgabe, so die drei Berufsrichter, gesetzgeberisch tätig zu sein. Die Kosten des Verfahrens trägt die BRD. Das Begehren des Bundesamts auf lebenslängliche Gesinnungsprüfung durch das Bundesamt für Zivildienst - als Ausnahmerecht im Grundgesetz, scheint durch die Sigmaringer Richter vorerst gestoppt, das Ölgemälde im Sigmaringer Sitzungssaal scheint seine magische Wirkung eingebüßt zu haben.