Tribut des Cowboys an Charlie Parker

■ Eine Schwarte von einem Film, aber unsentimental: 161 Minuten „Bird“ von Clint Eastwood über Charlie Parkers Musik, Exzesse, Leben und Sterben laufen endlich auch in Bremen

Clint Eastwood entwickelt sich immer mehr zu einer Jekyll/Hyde Figur. Als Schauspieler ist er seit ein paar Wochen in einem neuen Machwerk der „Dirty Harry“ Serie als „Mister Law and Order“ zu sehen. Als Regisseur macht er schon seit vielen Jahren ganz andere, unkommerzielle Filme, die man weder ihm, noch Hollywwod zugetraut hätte. In „Bird“ etwa vergißt man schnell, daß man in einem Film von Eastwood ist, und das ist ein großes Kompliment. Eastwoodbemerkte als kleine Pointe in Gesprächen, jetzt habe er mit den einzig originären amerikanischen Kunstformen zu tun gehabt: Westernfilme und Jazz.

Im Zentrum des Films ist Bird, ein musikalisches Genie mit ei

nem übermenschlichen Appetit auf Essen, Drogen, Alkohol, Zigaretten und Sex. „Bird“ ist mit 161 Minuten eine dicke Schwarte von einem Film, weniger sentimental als Taverniers „Um Mitternacht“ und gänzlich ohne die gewohnten Hollywood Klischees zur Besänftigung der wundgeriebenen Gefühle des Publikums. Die Story folgt weitgehend den Facts aus Parker's Leben, wie sie in verschiedenen Biographien festgehalten sind. Auch die Szenen, die so dramatisch und pointiert wirken, daß man einen wirklich guten Dramaturgen dahinter vermutet, sind so oder ähnlich passiert. So ist das Becken, das bei einem Vorspielwettstreit dem noch jungen Parker vor die Füsse fliegt, wirklich von einem entnervten Drummer geworfen worden. Im Film segelt es als Leitmotiv immer wieder über die Leinwand. Daß der Film trotz Faktentreue keine anspruchsvolle aber langweilig verfilmte Künstlerbiographie wurde, ist in erster Linie drei Männern zu verdanken:

Eastwood selbst inszenierte mit viel Rückblenden, Einschüben, kurzen assoziativen Szenen. Sein Film sei konstruiert wie ein Jazzstück, so Eastwood, „es verlangt vom Publikum, daß es genau zuhört, sonst wird es einzelne Elemente kaum bemerken, genau wie bei einem Parker Solo.“

Und Forest Whitaker (Charlie Parker im Film) ist ein Bär von einem Mann. Wenn er das Saxophon spielt, mit eingezogenen Schultern und immer etwas nach vorne gebeugt, ähnelt er den Fotografien von Parker ganz überraschend, aber besonders in den Nahaufnahmen wird die Figur durch ihn glaubwürdig. So wie Parker nur in Extremen lebte, sieht man ihn auch im Film nur intensiv streiten, genießen, lachen, sein Horn blasen oder leiden. In der Gosse oder in Ekstase. So wie sein massiver Körper oft die Leinwand auszufüllen scheint, bleibt im Film nur noch Platz für drei Personen an seiner Seite, die genauer vorgestellt werden. Red Rodney, der jüdische Trompeter, der in Parkers Band spielte und

auch süchtig wurde, weil er meinte: „Um zu spielen wie Bird Mußt du fixen wie Bird“. Und als Parkers Gegenpol Dizzy Gillespie, der sich als Reformer, aber Parker als Märtyrer sah, und clean wie auch smart genug war, um Erfolg mit Bebop zu haben, gutes Geld zu verdienen und zu überleben. Wirklich Bird gleichwertig ist aber nur seine Frau Chan, exzellent gespielt von Diane Venora, die als starke Persöhnlichkeit zeigt, welchen Preis die Familie eines Genies zahlen muß, dem es unmöglich ist, seine weiße Frau zu lieben, der drogensüchtig ist, und seine Kinder vernachlässigt.

Der musikalische Koordinator Lennie Niehaus ist verantwortlich für die Aufbereitung der Saxophonsoli. Da die Originalaufnahmen Parkers nicht den Ansprüchen eines Spielfilms von heute genügen, andererseits ohne Parkers Improvisationen aber der ganze Film ohne akustisches Zentrum dagestanden hätte, entwickelte Niehaus eine aufwendige Methode, elektronisch Parkers Saxophonsound aus den Ausnahmen zu isolieren, und mit neuen Aufnahmen der übrigen Instrumente zu mischen. So hört man Parker jetzt mit Jazzmusikern wie Ron Carter, Monty Alexander oder dem Red Rodney von heute. Man kann da schon fast ethische Bedenken haben: immerhin wurden die musikalischen Heroen wie Miles Davis oder Charles Mingus einfach herausgemischt. Aber wenn man Whitacker sieht, und die Soli hört, glaubt man, daß beides zusammengehört: So ähnlich muß es damals geklungen und ausgesehen haben.

„Bird“ brauchte lange um in ein Bremer Kino zu gelangen. Der Verleih hatte wenig Vertrauen in den Film und brachte nur eine Kopie für ganz Norddeutschland heraus, zudem noch in einer grauenhaft synchronisierten Fassung. Da sich keines der größeren Kinos an den Film herangetraut hat, läuft jetzt in der Schauburg die Originalfassung mit Untertiteln.

Wilfried Hippen

Schauburg 18.00 und 23.00 Uhr