Cocktail von Zeitgeistern

■ Die zweite Ausstellungs-und Theaterproduktion des Ensembles der Kulturetage Oldenburg: „Wiegeschritt und Wilde Träume“ - Da wird man nicht als Zuschauer konfrontiert, sondern als Gast umworben

Am Anfang und am Ende wird ein gewisser Cocktail gemixt, dessen Namensgeber, ein sowjetischer Außenminister, inzwischen out of history ist. Dieser Cocktail, eine explosive Mischung aus den 60er Jahren, wird am Ende als vergnüglich petrolfarbenes Gemisch an der Bar ausgeschenkt, wenn es Zeit für ZuschauerInnen und Projektleute ist, das Gesehene unterhaltsam vor der Bar der Kulturetage zu verdauen.

Der Cocktail trifft, was in der Oldenburger Etage passiert, ganz gut. Da wird man nicht als Zuschauer konfrontiert, sondern als Gast umworben, und ins Geschehen hineinversetzt, sowie man den Fuß in den Hof setzt, und da wird immerzu Cocktail gemischt aus den verschiedenen künstlerischen Sparten, mit bewegten Bildern, mit Kleidern, Mottenkugeln, alten bestickten Radios, mit Tanz, Environment, mit einer winzigen Zutat an Sprachbits, mit Dia-projektion, und dies alles auch noch aus den German Fifties und Sixties.

Das Ensemble der „Kulturetage Oldenburg“, wie das ganze in Eigenbau rekultivierte Haus mit Hof understatend heißt, bewegt sich in einer Art theatraler Fortsetzungsrevue durch die Nachkriegsgeschichte.

Jeweils im Herbst tritt das Ensemble - jetzt Uwe Bergeest, Andrea Nahrstedt, Tina Harms, Uwe Petersen, Ralf Sellmer, Margit Wierer und der argentinische Regisseur Norberto Presta - in die aktive Probenphase ein. Im Januar '88 kam dabei „Ehe alles Legende wird“, auf die Welt, wo es um die Nachkriegsgeschichte '45 bis '49 ging, dieses Jahr ging es durch „Wiegeschritt und wilde Träume“ der 50er und 60er Jahre, im nächsten Jahr sind die 70er und 80er Jahre dran.

Im letzten Jahr hat sich eine dreischrittige Ännäherung an das Thema entwickelt, die in diesem Jahr wieder verfolgt wurde. Sie beginnt mit einem Vortheater im Hof, führt über mit Fundstücken gestaltete Ausstellungsräume oben im Haus schließlich in den Theaterraum in der Mitte des Hauses, in dem alle Zutaten nochmal theatral verschüttelt werden. Die Zutaten im Hof: Autopicknick eisern-heiler Kleinfamilie, muksche Tochter wird von Rokcker mit Motorrad entführt, welcher später als Easy Rider wiederkehrt, zwischen riesigen Diaprojektionen an den Wänden schwebt ein Kosmonaut hernieder... Vorbei an den Elvis-Jimmy-Dean-bis-Psychodelics -Ikonen in den beiden Treppenhäusern geht es zu

den Ausstellungsräumen, die ich Sie allein entdecken lasse.

9.2. Zwischen der Premiere und dieser Niederschrift liegen drei Wochen. Von den vielen Bildern des Stückes in meinem Kopf haben einige die vielen anderen von Unistreik und literarischer Woche in Bremen überdauert. Es sind die, die gleich beim ersten Sehen hafteten, weil sie klar waren, aber einen Überschuß an Un

klarem, Ungeklärtem enthielten. Die Eingangspassage zum Beispiel. Ein Haufen merkwürdig verstörter, beschädigter Menschen findet sich ein, versammelt sich, nach Geschlechtern getrennt, und ans Handtäschchen gekrampft auf einander gegenüber liegenden Bänken, marionettenhaft jede und jeder wieder und wieder Sprüche hersagend. Eine Frau, die niemanden ansieht, weiß: „Der erste Blick ist entscheidend.“

Tanzstundenleergut der 50er, arrangiert zwischen Beckett und Ionesco, Geselligkeit der hoffnungslos Gesellschafts und Geselligkeitsunfähigen, komisch und rührend zugleich. Die Fünfziger formieren sich. Das Aufmucken dagegen in Gestalt aggressiv-verklemmter Kinderspiele, Rockerprotest, irgendwann dann Elvis mit der Lendengitarre als Schattenriß hinterm Nesselvorhang.

Die Studentenrevolte der 60er erscheint wie eine Fortsetzung der Jugend- und Rockerkrawalle des Vorjahrzehnts. Trotz Dutschke auf dem Monitor doch unerklärlich. Schön, aber ein Bild, das ungeklärt und uneingeführt auftaucht: Das ganze Ensemble rudert und schwimmt, verfangen in ein riesiges, windbe

wegtes, weißes Tuch, strauchelnd, verzweifelnd, blindlings auf eine Zukunft zu, die irgendwo knapp oberhalb der letzten ZuschauerInnen anfangen muß. Da sehen sie alle hin in ihrem utopischen Auf-der-Stelle-Treten.

Schwächer sind die Oldenburger da, wo sie sich auf das Vorzeigen der Ikonen und historischen Fundstücke allein stützen. Das bleibt manchmal in nostalgischen Ahas und Ajas stecken. Zuwenig erkennbar waren mir diesmal auch die sechs durchgehenden Personen, die quasi durch der Zeiten Lauf dekliniert werden.

Gut sind sie da, wo sie den Geist der Zeit in ein tragendes Bild destillieren, wie am Anfang oder wie in der szenischen Umsetzung einer Stelle aus Handkes Publikumsbeschimpfung, die direkt auf ein Zitat vom Auschwitzprozeß aus dem Monitor folgt: „Sie werden hier nichts hören, was Sie nicht schon wußten“.

Mit dem Durchspielen dieses Satzes beginnt ein permanenter Neuerungsprozeß, in dem sich das Ensemble ruhelos von einer textilen Haut zur andern endlos forterneuert. Sehr schön.

Uta Stolle

Nächste Vorstellungen: 15.,16.,17. 18.2.