Plötzlich war die Schule leer

■ Tiefflieger donnern wieder über Wiesmoor / In zwei ostfriesischen Schulen kamen Schüler nicht zum Unterricht, sondern zum Protest / Vorbereitungen blieben geheim, LehrerInnen überrascht

Als die LehrerInnen der Realschule im ostfriesischen Rhauderfehn gestern morgen mit dem Unterricht beginnen wollten, standen sie vor leeren Klassen. Die SchülerInnen hatten sich - unbemerkt von Schulleitung und Lehrerschaft einer dringenderen Betätigung zugewandt: Sie zogen

mit Sprechchören und Transparenten zum Rathaus und übergaben dort eine Bittschrift gegen den Tiefflug-Terror knapp über ihrer Schule. „Das ist alles klammheimlich vorbereitet worden“, staunt Schulleiter Sodtalbers über die Aktion der 600 SchülerInnen im Alter zwischen

10 und 15 Jahren.

Auch im benachbarten Schulzentrum Collhusen in Westoverledingen blieben gestern morgen die Klassen leer. 700 Grund-und HauptschülerInnen zogen ebenfalls zum Protest gegen den Tiefflug durch den Ort. Ihre knallrot angemalte Schule dient den Star

fightern immer wieder als Anflugziel, stündlich donnern die lärmenden Flugzeuge durch den Unterricht.

„Der Schulrat hat extra zehn Lehrer zur Begleitung unserer Demonstration abkommandiert“, freut sich Schülersprecher Jörg Egger (16). Zwar hätte der Schulleiter am Morgen noch versucht, die SchülerInnen zurückzuhalten, doch die ließen sich nicht beirren und demonstrierten los. Unterstützung bekamen sie von SchülerInnen der Westoverledinger Realschule. „Die waren nicht mehr aufzuhalten“, sagte anschließend auch deren Schulleiter Hartel.

Die Idee zum überraschenden SchülerInnen-Protest war Mitte Januar auf einem SV-Seminar in Aurich entstanden. Alle Vorbereitungen blieben - trotz Mobilisierung von „über drei Viertel meiner Schüler“ (Schulleiter Sodtalbers) - bis zum Schluß geheim. Einen zusätzlichen aktuellen Anlaß bekam der Protest am Donnerstag mittag. Zum ersten Mal seit dem abrupten Ende eines Tiefflugs direkt neben der Grundschule von Wiesmoor Anfang Ja

nuar donnerten wieder Bundeswehr-Flieger über das kleine Dorf. „Vor allem die Kleinsten zitterten vor Angst“ berichtet Lehrerin Buchhagen, „wir warten nur noch auf den nächsten Absturz“.

Die beiden ostfriesischen Gemeinden, in denen die SchülerInnen Bittbriefe zum Rathaus brachten, versicherten gestern, daß sie sich jetzt „verstärkt für ein Ende der Tiefflüge“ einsetzen wollen. Und auch die Polizisten, die die beiden nicht angemeldeten Demonstrationen begleiteten, „hätten sich am liebsten eingereiht“, wie Augenzeugen berichten.

Unterdessen denkt Schulleiter Sodtalbers über mögliche Sanktionen nach: „Das ist ja nicht erlaubt gewesen, da kann man doch nicht gleich sagen, es ist ok, wenn der Unterricht geschwänzt wird.“ Bevor es ernst wird, will er allerdings „das Wochenende noch mal drüber schlafen.“ Wenn er das allerdings mittags tut, könnte er plötzlich aufschrecken. „Man fühlt sich von den Tieffliegern schon belästigt“, gibt er zu.

Dirk Asendorpf