Der Hitlergruß

■ Gespräch mit Hans-Helmut Prinzler (Stiftung Deutsche Kinemathek) über die Retrospektiven der Berlinale

taz: Die Stiftung Deutsche Kinematik veranstaltet im Rahmen der Berlinale zwei Retrospektiven: eine mit Filmen des deutschen Produzenten Erich Pommer, und eine zweite, die „Europa 1939“ heißt. Auf der Pressekonferenz war kein einziges Plakat der „1939„-Retro zu sehen. Warum nicht?

H-H. Prinzler: Wir haben ein Plakat gemacht, auf dem eine Fotografie zu sehen ist, die am 1.4. 1939 in einer Straße Berlins während der Rundfunkübertragung von Hitlers Rede zur Polen-Invasion aufgenommen wurde. Es bildet eine Alltagssituation ab: Drei Männer, die in verschiedene Richtungen und mit fast trüben Gesichtern den Arm zum Hitler -Gruß erhoben haben. Diese Fotografie ist inszeniert wie eine Choreographie gegen die Choreographie; aus den Gesichtern ist eine große Teilnahmslosigkeit und aus dem Arrangement des Ganzen eine begeisterungslose Ungerichtetheit zu lesen. Das Plakat hatte einen schwarzen Grund und war mit einem gelben Schriftbalken versehen. In diesem Alltagsbild, wie auch im Plakat in seiner Ganzheit, war für uns etwas von der Atmosphäre und Stimmung jenes Jahres aufbewahrt. In seiner Vielschichtigkeit hätte es gewissermaßen als Leitmotiv für das Programm gelten sollen und können.

Nun hängt dieses Plakat aber nicht. Warum?

Wir haben uns aus freien Stücken dazu entschieden. Zwar glauben wir, daß es sich in seiner Vielschichtigkeit der Propaganda entzieht. Aber an Litfaßsäulen geklebt und über die Stadt verteilt, ist man dennoch nicht vor mißverständlicher Aufnahme gefeit. Möglicherweise teilt sich auch die Komplexität des Plakats dem schnellen Blick nicht mit. Diese Version wird jetzt nur im Festivalbereich aufgehängt. Als Litfaßobjekt haben wir inzwischen ein eindeutigeres Plakat anfertigen lassen, mit einer Fotografie, auf der eine Gruppe von Leuten zu sehen ist, die die Nachricht vom Polen-Überfall in einer Zeitung liest.

Spielte die Berliner Wahlentscheidung vom 29.Januar eine Rolle?

Die Entscheidung war zu diesem Zeitpunkt schon gefallen. Aber es war eine Bestätigung.

Stehen die beiden Retrospektiven gleichgewichtig nebeneinander?

Ja, völlig. Sowohl was die Anzahl der Filme betrifft, als auch, was unsere Einstellung dazu angeht. Der einzige Unterschied bestand im Vorlauf: „Europa 1939“ ist vor nicht allzulanger Zeit entstanden. Das Programm ist ein konzeptionelles Experiment, über dessen Ausgang wir uns selbst noch nicht ganz genau im Klaren sind. „Erich Pommer“ dagegen ist ein langgehegter Wunsch, und sein hundertster Geburtstag war lediglich Anlaß, daß wir ihn uns jetzt erfüllten. Wie viele andere Retrospektiven der letzten Jahre sind beide Teilveranstaltungen Ansätze, mangelhaft beackertes Terrain zu erschließen, nicht nur mittels Filmprogrammen, sondern auch, indem wir Fährten anlegen, indem wir einen Ansatz des Nachdekens dokumentieren - das heißt publizieren - woraus dann weitere folgen mögen und in der Vergangenheit auch gefolgt sind.

Spielt bei der Planung Ihrer Retrospektiven der Gedanke an Kontinuität von Jahr zu Jahr eine Rolle?

Nicht von Jahr zu Jahr, aber Kontinuität hat sich fast naturwüchsig eingestellt. Um von diesem Jahr zu sprechen: Die Filme, die Erich Pommer produziert hat, repräsentieren einen ganzen Strang der deutschen Filmgeschichte, den man mit dem Stichwort „Exil“ fassen kann. Pommer ist sowohl eine herausragende Einzelpersönlichkeit, wie seine Biographie auch viele verallgemeinerbare Züge hat. Dies kann als Rahmen gelten, in dem sich unsere Überlegungen und unser Verhältnis zur deutschen Filmgeschichte praktisch artikulieren.

Können Sie sich vorstellen, daß es in zehn Jahren noch Themen für Ihre Retrospektiven geben wird?

Das Gleiche hat man sich vor zehn Jahren vielleicht auch schon gefragt, und im Rückblick läßt sich feststellen, daß in dieser Zeit viel Interessantes stattgefunden hat. An Stoff wird es auch in Zukunft sicher nicht mangeln. Aber von den technischen Möglichkeiten her bezweifle ich tatsächlich, daß es in zehn Jahren noch möglich sein wird, filmhistorische Reihen so durchzuführen wie wir meinen, daß sie durchgeführt werden müßten.

Alle Trends des Kinobetriebs - sprich Standardisierung, Rationalisierung - widersprechen solchen Unternehmnungen, in denen ein jeweils eigener Umgang mit jedem einzelnen Film erforderlich ist: Verschiedenes Alter der Kopien, verschiedene Formate, manchmal verschiedene Tonsysteme, oft verschiedene Geschwindigkeiten... Beim Auswechseln einzelner Teile der Projektionsgeräte müßte eigentlich die Gesamtheit der beiden gekoppelten Projektoren inspiziert und neu angeglichen werden, wozu ein Filmtheater selten willens oder finanziell in der Lage ist.

Aber davon abgesehen: In den vergangenen Jahren haben wir viele Filme, die relativ leicht zu beschaffen waren, vor vollem Haus gespielt, andere, nach denen wir uns manchmal ein Jahr lang die Hacken abrennen mußten, und von denen wir dachten, es seien wahre Bonbons, liefen manchmal vor 15 Zuschauern. Auch hier gibt es einen Trend zur Standardisierung. Manchmal drängen sich einem dann schon so zynische Fragen auf, warum man nicht einfach zehnmal den „Blauen Engel“ programmiert. Die Mühe um Überraschungen dankt dir sowieso keiner. Nur: Wir sind so verrückt und halten das, was wir augenblicklich machen, für richtig.

Interview: Ralph Eue