Ungeliebt hält niemand durch

■ Isabelle Adjani als Camille Claudel in Bruno Nuyttens Film

Hattest du Angst, daß ich dich übertreffen würde?“ „Das nicht, aber daß du mich kopieren könntest.“ Frage und Antwort sind noch ganz harmlos, fast zärtlich dahingesprochen. Doch Eifersucht, Neid und Haß lassen nicht lange auf sich warten. Kein Was-hast-du-in-der-Zwischenzeit -Schönes-gemacht. Die Schülerin und frühere Geliebte Camille Claudel ist dem Meister Auguste Rodin in der Arbeit untreu geworden. Sein Haß wird sich in Mitleid wandeln, ihrer in Paranoia.

Das „Musische Lexikon für Musik, Dichtung und bildende Kunst“ verzeichnet wie auch andere Nachschlagewerke keine Claudel, Camille, wohl aber Paul, ihren dichtenden Bruder. Auch unter Rodin, Auguste ist sie nicht erwähnt. Muse war sie, die Bildhauerin, sein Modell, seine Gehilfin und seine Geliebte. Und wollte es wohl zunächst auch sein so zeigt sie der Film zumindest, wenn sie sich Rodin eigenmächtig zu Füßen legt.

Camille Claudel ist das Paradebeispiel einer verkannten Künstlerin, die ihre Kräfte jahrelang in das Werk ihres Geliebten meißelt. Sie wird schwanger und treibt ab. Rodin ist nicht bereit, seine Lebensgefährtin Rose zu verlassen. Sie kann die Trennung von ihm nicht überwinden, beginnt zu trinken, zu vereinsamen und wird 1913 auf Veranlassung ihrer Familie in die Psychiatrie abtransportiert. Einen Großteil ihrer Skulpturen hat sie selbst zerstört. Sie bleibt bis zu ihrem Lebensende interniert, dreißig lange Jahre.

In akademischen Kreisen ist die Rehabilitierung Claudels teilweise erfolgt. Isabelle Adjani hat sich vorgenommen, sie populär zu machen. Sie spielt nicht nur Camille Claudel, sie produzierte den Film auch und engagierte ihren Lebensgefährten Bruno Nuytten, bis dahin Kameramann, als Regisseur.

Ein Schmachtschinken ist es nicht geworden, aber ein etwas gewaltiger und langer Film in schönen Farben. Oft legt er verboten viel Schmalz auf. Etwa dann, wenn die Verzweifelte nachts bei Blitz, Donner und strömendem Regen Rodin nahe seines Hauses auflauert. Er ist alt geworden, geht am Stock. Er hört ein Geräusch, hört, dreht sich um - nichts. Aus dem Straßengraben streckt sie unterm Cape ihre Hand hervor. Ein Jammer.

Etwas später teilt Camille mit Clochards unter einer Seine -Brücke die Rotweinflasche, wärmend flackert ein Feuer und illustriert nichts - oder bloß. Schämt man sich ihrer, weil sie so heruntergekommen ist? Es bleibt bei diesem plakativen Spot.

Aber zurück zum Anfang, wir befinden uns im Paris der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Trotz eisiger Winternacht gräbt Camille in einer Straßenbaugrube Lehm aus, stürzt mit ihrem vollgepackten Koffer nach Hause, um sich dort mit gefrorenen Fingern schnurstracks ans Modellieren zu begeben. Der Film wird dieses hektische Tempo beibehalten, schneller Schnitt, Bild auf Bild. Camilles Ungestüm: das ist der künstlerische Drang, Besessenheit, wenn nicht Genie mahnen die einsetzenden Streicher der spätromantischen, groß orchestrierten Musik.

Ehrgeiz, der ihr vom protestantischen Elternhaus eingegeben sein mag. Ehrgeiz, es der mißbilligenden, frömmelnden Mutter zu zeigen, Ehrgeiz, es dem liebevoll unterstützenden Vater zu beweisen. Der Vater (großartig von Alain Cuny gespielt) ist ihr Förderer, der sich am Ende enttäuscht von ihr abwendet und ihr mit Donnerstimme aus dem Erstlingsdrama ihres inzwischen berühmt gewordenen, zum Katholizismus konvertierten Bruders Paul vorliest.

Auch Rodin, (ein mächtiger und sehr präsenter Gerard Depardieu mit Vollbart und Borstenschnitt), ist zunächst ihr Förderer. Während Rodin nach einem fremden Modell eine kleine Figurine modelliert, wehrt sich Camille handkräftig gegen die dreisten Annäherungsversuche eines männlichen Gehilfen in der großen Werkhalle und schmeißt alles hin. Rodin drückt entnervt die kleine weibliche Figur in der Hand zusammen. Er hat jetzt ein neues Modell.

Camille-Isabelle mit kindlich verheultem Gesicht, Camille -Isabelle mit dem im Kerzenschein vergoldeten Gesicht der Geliebten, Camille-Isabelle als grell geschminkte, etwas aufgedunsene Künstlerin beim versuchten Comeback, Camille -Isabelle mit dem aschfahlen Gesicht der Trinkerin. Während sie den Fusel in sich reinkippt, setzt das Seinewasser pittoresk ihr Atelier unter Wasser.

Aber der Film zeigt sie nicht nur als Opfer, sondern auch als Rebellin. Sie verläßt Rodin - weil er sich nicht ganz für sie entscheidet und weil sie arbeiten will, für sich. Sie hat die Kraft, ihn zu verlassen, aber nicht die Kraft, es durchzuhalten.

Rodin sagt zu Mademoiselle Claudel: „Wir sind gleich, wir sind aus demselben Stoff.“ Daß sie nicht gleich sein konnte als Frau in jener Zeit, wollte er nicht begreifen.

Nach der Trennung ist alles nicht einfach, aber es scheint zu gehen. Camilles Freund Debussy verteilt ihre Visitenkarten während der großen Ausstellung im Grand Palais, die sowohl ihre wie Rodins Werke zeigt. Ein Galerist interessiert sich für sie, sie arbeitet wie besessen. Aber der Zweifel, das Unglück, die Bitterkeit, die Erfolglosigkeit nagen an ihr.

Das zufällige-nichtzufällige Zusammentreffen mit Rodin auf nächtlicher Straße führt die beiden noch einmal zusammen. In ihrem Atelier. Jetzt zeigen sich ihre Verwundungen. Das macht häßlich. Jahre der Jugend und Arbeit vergeudet, schleudert sie ihm haßerfüllt ins Gesicht. Jetzt sagt sie, Rodin habe sie verlassen. „Ich habe dich so geliebt“, sagt er im Weggehen und spricht bereits in der Vergangenheit. Ungeliebt hält niemand durch. Unmut der Verlassenheit.

Sabine Seifert

Bruno Nuytten: Camille Claudel, mit Isabelle Adjani, Gerard Depardieu, Alain Cuny, Frankreich 1988, 170 Min.

11.2. Zoo-Palast, 12.00 Uhr, 20.00 Uhr

12.2. Gloria, 11.15 Uhr

12.2. Urania, 21.00 Uhr