Kein alternatives Europa in Sicht

■ Die „Deregulierung des alternativen Interessenwirrwarrs“ ist vonnöten, doch die Szene läßt sich nicht über einen Kamm scheren

Teil 4: Kurt Regenauer

Kontakte ins europäische Ausland hatte die westdeutsche Alternativszene seit eh und je auf den unterschiedlichsten Kanälen. Da gab es das Biogasprojekt mit Eurokooperationsplänen, um an die entsprechende EG-Knete zu kommen, von Handelsinteressen geprägte Verbindungen und Zusammenschlüsse für einen kulturellen Austausch.

Ausschlaggebend für solche grenzüberschreitenden Aktivitäten war aber bislang immer nur ein konkretes projekt - oder branchenspezifisches Interesse. Eine wie auch immer geartete „europäische Ebene“ wurde von BRD-Seite hingegen gar nicht erst angestrebt. Nur zu oft verhinderte die Unterschiedlichkeit der diversen regionalen Szenen die Ansätze bereits im Keim, Selbstverwaltung „über einen Kamm zu scheren“. Denn die reicht schließlich - wenn auch im Extrem - bis hin zu italienischen Genossenschaften, die für die Rüstungs- oder Atomindustrie arbeiten. Die Furcht vor Institutionalisierung einer „alternativen Eurokratie“ tat ein Übriges.

So scheiterten zuletzt im vergangenen Jahr Versuche von Frankfurter ÖkobankerInnen und einem Bonner Genossenschaftsförderverein, die westdeutsche Projektelandschaft in eine europäische Vereinigung von Produktivgenossenschaften einzubinden, schon im Ansatz. Die Gretchenfrage, wer hier denn wessen Interessen vertreten wolle, schien den AdressatInnen in den diversen regionalen Netzwerken und Projektzusammenschlüssen eigentlich eher deplaziert oder zumindest verfrüht. Es wurde bemängelt, daß eine Initiative, bundesweite Vertretungsstrukturen zu etablieren, das Pferd vom Schwanz aufzäume, solange darüber keine Auseinandersetzung stattgefunden hat, welche übergreifenden Selbstverwaltungsinteressen und -ziele denn nun verfolgt werden sollen. Eine politische Standortbestimmung wurde gefordert.

Handelshemmnisse und Handlungshemmnisse

Daß der Selbstverwaltungsbereich auf Bundes- und Europa -Ebene aktionsfähig werden sollte, war bei den TeilnehmerInnen dieser Diskussion als letztendliches Ziel keineswegs umstritten. Schon in der Vergangenheit war aus Projekte- und Netzwerkkreisen immer wieder die Befürchtung geäußert worden, der Alternativbereich werde von der herrschenden Politik nurmehr instrumentalisiert, wo er seine eigene politische Identität verliere.

Einschlägige Erfahrungen aus Westberlin (mit dem CDU-Senat) und Bremen (mit der SPD) scheinen dies zu belegen. Dort installierte Staatsknetemodelle waren eher an sozial- und beschäftigungspolitischen Konzepten der großen Parteien orientiert denn an Bedürfnissen der Szene.

Die Entwicklung zum EG-Binnenmarkt versetzt die Alternativos nur noch mehr in einen Handlungsnotstand. Der Wegfall von Handelsbarrieren durch „Deregulierung der Märkte“, also auch des Arbeitsmarktes, und die hieraus resultierende „Strukturanpassungsprozesse“ der Wirtschaft klingen zu sehr nach dem Vokabular, das bislang immer nur den Weg in noch mehr Arbeitslosigkeit bei noch weniger Rechten und sozialen Standards für Arbeitende und Arbeitslose beschrieb, um nicht auch die Rolle der Selbstverwaltungswirtschaft in Frage zu stellen. Wie weit entwickelt sie hier ihren Anspruch, Gegenmodell zu bleiben? Oder wird sie gar eher zum Trend für weiteren Sozialabbau, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse, selbständige Hungerexistenzen und weitere Privatisierung von Lebensrisiken?

So führt der Wegfall von Handelshemmnissen also zu einem akuten Handlungsbedarf auf Seiten der Projekteszene. Ein gemeinsamer politischer Standort ist zu definieren und zu präzisieren, der alternative und ökosoziale Standards setzt und Interessenlagen umfaßt, auf deren Grundlage dann allerdings europäische Verbandspolitik betrieben werden kann. Eine „Deregulierung des alternativen Interessenwirrwarrs“ ist vonnöten.

Bisherige Treffen diverser Projektzusammenschlüsse und Selbstverwaltungsverbände bei der Zeitschrift 'Contraste‘, einem monatlichem Selbstverwaltungsperiodikum, oder der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Netzwerke haben dies zwar erkannt. Aber aus der splendid isolation der diversen Regionalszenen resultierte bisher trotzdem wenig mehr, als daß die Notwendigkeit dieser Debatte eingeklagt und die Kommunikationsbarrieren, die sie verhindern, beklagt wurden. 'Contraste‘ hat in den vergangenen Jahren immerhin ein Zeitungskonzept als „Forum für Ökologie und Selbstverwaltung“ praktiziert und sich erboten, den Zusammenhalt für solch eine Diskussion zu bieten.

Alternativer Wirtschaftsgipfel

Aber auch im Ausland werfen kommende europäische Ereignisse ihre Schatten voraus. So veröffentlichte 'Contraste‘ in ihrer Februar-Ausgabe einen französischen Aufruf zu einem anderen Wirtschaftsgipfel. Hinter dem Kürzel TOES (The Other Economic Summit) verbirgt sich die Initiative des Netzes der alternativen Ökonomie in Frankreich, eine Gegenveranstaltung mit internationaler Beteiligung zum Weltwirtschaftsgipfel durchzuführen.

Diese Aktion erfolgt mit dem Anspruch, ein Memorandum vorzustellen, das mit den Ergebnissen des offiziellen Wirtschaftsgipfels konfrontiert wird, der am 15./16.Juli in Paris stattfindet. Aus den Strategiediskussionen um die Rolle der industrialisierten Welt und der Arbeitsgruppe zur Regionalentwicklung sind auch Anstöße zur Kritik des EG -Binnenmarktes zu erwarten. „Aktive Briefkästen“ zu diversen Themenschwerpunkten werden derzeit eingerichtet, um eine Beschlußfassung über ein solches Memorandum, die bereits für Mitte April vorgesehen ist, vorzubereiten - auch 'Contraste‘ will sich durch monatliche Debattenbeiträge unter „tips for TOES“ hieran beteiligen.

Diese Veranstaltung soll keineswegs eine (europawahlpolitische) Eintagsfliege bleiben. Eine andere, holländische InitiatorInnengruppe betreibt bereits jetzt unter dem Motto Europa gegen den Strom eifrig Werbung für eine ähnliche Veranstaltung vom 15.-17.September in Amsterdam, die im Rahmen eines alternativen Medienfestivals und einer internationalen Messe stattfinden soll. Sie wird sich vor allem mit Technologie- und Medienkritik beschäftigen und sich in diesem Zusammenhang auch mit dem Binnenmarkt befassen.

Der Autor ist Mitglied der Nürnberger 'Contraste' -Redaktion