„Ein Bedürfnis über die SPD hinaus“

Interview mit Günter Verheugen, dem Chefredakteur des bedrohten 'Vorwärts‘  ■ I N T E R V I E W

taz: Welche Selbstverwaltungsmodelle sehen Sie?

Verheugen: Der Betriebsrat will dem Eigentümer vorschlagen, die GmbH an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu übergeben, die dann selber Eigentümer werden. Das könnte auch eine Genossenschaft sein, über den Kreis der MitarbeiterInnen hinaus. Ich habe im Parteivorstand vorgeschlagen, den 'Vorwärts'-Verlag aus dem Unternehmensverbund der SPD herauszunehmen und einem unabhängigen Träger zu übergeben. Das könnte ein Verein oder eine Stiftung sein, die durch ihre Zusammensetzung garantiert, daß die Grundhaltung des Blattes nicht verändert wird.

Wird es in Zukunft demokratische Binnenstrukturen beim 'Vorwärts‘ geben?

Wir haben sie ja. Wir haben ein Redaktionsstatut, das soweit ich sehen kann - von keiner vergleichbaren Zeitung oder Zeitschrift erreicht wird. Die Redaktion ist so unabhängig wie eine Redaktion nur sein kann. Ich bin kein Chefredakteur im klassischen Sinn. Daran wird sich auf keinen Fall etwas ändern.

Kann sich der 'Vorwärts‘ tragen?

Der Markt ist heute schon da. Mit der jetzt verkauften Auflage von 46.000 Stück kann der 'Vorwärts‘ wirtschaftlich betrieben werden. Ob es einen größeren Markt für das Blatt gibt, ist ja gar nicht festgestellt worden. Die SPD hat überhaupt nichts getan, um das Produkt auf diesen imaginären Markt zu bringen. Wenn irgendjemand die Möglichkeit hat, einen Markt zu schaffen, dann ist es eine große Partei wie die SPD mit allein 10.000 Ortsvereinen. Fest steht, daß es ein Bedürfnis für dieses Blatt auch weit über die SPD hinaus gibt. Für viele ist der 'Vorwärts‘ eine unverzichtbare Informationsquelle über eine der großen sozialen Bewegungen in diesem Lande

Der 'Vorwärts‘ war immer noch recht bieder. Wie soll das Blatt weiterentwickelt werden?

Dem widerspreche ich. Wir stellen ein seriös aufgemachtes, aber dynamisches Magazin her. Wir müssen berücksichtigen, daß in unserer Leserschaft z.B. alle Bildungsabschlüsse gleich stark vertreten sind. Da können wir nicht auftreten wie eine dieser neuen Yuppie-Zeitschriften. Auch nicht wie die taz. Ein 'Vorwärts‘ mit größerer Auflage und besserer wirtschaftlicher Basis sollte sich noch mehr konzentrieren auf die Themen „Betrieb und Gewerkschaft“ und „Gleichberechtigung der Frauen“.

Interview: Martin Kempe