Koalitionsfieber

■ Wer Berlin regieren wird, ist noch nicht entschieden

Selten sind Koalitionsverhandlungen mit derart angehaltener Spannung von einem ganzen Land verfolgt worden wie jetzt in Berlin. Die Bevölkerung reagiert, als ob nicht über Machtwechsel, sondern ganz unmittelbar über die Zukunft der Stadt verhandelt würde. Als gestern Momper nach der CDU-SPD -Runde erklärte, die CDU habe „noch nicht“ eine politische Wende deutlich werden lassen, waren alle Deutungsvariationen dieses „noch nicht“ im Gespräch. Tatsächlich ist die große Koalition nach wie vor eine ernstzunehmende Option. Selbst wenn die SPD-Führung jetzt schon auf Rot-Grün setzen sollte, muß sie ernsthaft mit der CDU (und womöglich mit ernstzunehmenden Ergebnissen) verhandeln, allein schon, um die Akzeptanz eine SPD-AL-Partnerschaft zu sichern. Außerdem: alle drei zentralen SPD-Wahlkampfthemen Arbeitslosigkeit, Gesundheitsreform, Mietfrage - sind Bundesthemata und zielen auf den Bund. Eine CDU in der Koalition könnte da durchaus den politischen Spielraum erhöhen.

Allerdings, auch das weiß Momper, würde eine große Koalition einen kaum abschätzbaren Rückschlag bedeuten. Denn sie würde den politischen Frühling - die abrupte Politisierung Berlins - vernichten. Aber die AL darf sich nicht auf diesen Rückenwind verlassen. Verfehlt wäre es, aus der Gunst der Situation heraus auf die Durchsetzungsfähigkeit einer rot-grünen Koalition zu schließen. Es reicht nicht, daß die Mitgliederversammlung der Option einer Koalition und einem „Knackpunkte„-Katalog zustimmt. Koalitionsverhandlungen sind auch vorweggenommene Regierungsarbeit. Und die Politikfähigkeit der AL muß sich erst noch erweisen. Das AL-Programm ist klientelbezogen, das einer Opposition. Da reichte es bisher, eine richtige Kritik mit einem Patentrezept zu verbinden. Gewiß: Berliner Politik steckt bis zum Hals in Tabus. Aber eine AL, die anfängt, im Namen der Vernunft erst einmal Porzellan zu zerschlagen, könnte blitzschnell aus dem Spiel sein.

Klaus Hartung