Hoppelhasen tanzen Samba

■ Brasil Tropical - das verheißt exotische Lationo-Rhythmen: In Bremens Glocke hingegen wurde er fürs Volk heruntergewirtschaftet

Streckenweise gings auf der Bühne zu wie in der Gymnastikstunde eines Altersheims, nur die Krankenschwester wirkte etwas zu exotisch: Die in Pailettenjäckchen und Glitzerjeans gewandtete Sandrinha - am Rest des Abends Percussionistin der Band - ließ mit markigen Anfeuerungsrufen und unter dem Gejohle des Publikums alte Männer zu Sambarhythmen steife Hüften schwingen und wie die Hoppelhasen über die Bühne hüpfen.

Als der greiseste von ihnen schließlich beim beliebten Toreospiel den Stier machen sollte, verweigerte sich der alte Herr - zur Erleichterung der Zuschauer und fast wie im richtigen Leben.

Animationsspielchen sind in Lateinamerika Bestandteil einer jeden guten Show. Doch was drüben ein tanz-und spielfreudiges Publikum befriedigen mag, verkam bei Brasil Tropical zur platt-peinlichen Vorführung von Besuchern im Stil von Mike Krügers Hamstersendung. Nichts kann offensichtlich so blöd sein, als daß es eine amüsierwillige Menge nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen könnte.

Brasil Tropical - das verheißt märchenhafte Kostüme, exotische Tänze, Latino-Rhythmen, schöne braune Menschen und eine angemessene Dosis Erotik, denn die brasilianischen Mulattinen, das weiß ein jedes Kind inzwischen, bestreiten einen großen Teil des Programms leichtgeschürzt und barbusig - im Gegensatz etwa zu den prüden Sozialistinnen aus Havannas Tropicana.

So kam mancher auf seine Kosten, und der ausverkaufte Glockensaal sah einmal mehr ein Publikumsgemisch jenseits aller Alters-und Sozialkategorien: Von allem etwas, mit leichtem Übergewicht auf der Szene, sagen wir, über 55, aber auch die wird ja längst vom schwarzen Outfit dominiert.

Ein Programm für alle muß bekanntlich gut schluckbar sein, weichgekocht: die Brasilianer servierten zwei Stunden lang Leichtverdauliches. Die zehnköpfige Band bot sämigen Samba, wie ihn bei uns James Last kultiviert, gewürzt mit milden und flockenleichten Zutaten aus dem Bereich des Night-Club -Jazz: süße Flöte, Saxophone etwas derber, zurückhaltende Percussions.

Das Programm selbst bestand aus zahlreichen folkloristischen Bezügen auf die Geschichte Brasiliens und seiner Mythen: Der kriegerische Stocktanz aus dem

Amazonasgebiet, der „Samba de Roda“, die den Amazonas befahrenden Kolonisatoren und ihre Begegnung mit eben jenen „Amazonas“ wurden choreographsich umgesetzt und natürlich, am Schluß, die Farbenpracht des Carneval von Rio.

Fast immer wirkt die Choreographie wenig einfallsreich, zurückgenommen und gerade im ersten, ethnologischen Teil, wie einer kaum noch zu erahnenden, ursprünglichen Wildheit beraubt.

Wie aufregend weniger auf den Massengeschmack geplättete Darbietungen sein könnten, wurde lediglich deutlich, als es um die Darstellung der Capoeira aus Salvador, dem Entstehungsort des Brasil Tropical ging. Die Capoiera ist ein mit den Füßen ausgetragener Abwehrkampf und beliebtes Kräftemessen unter brasilianischen Jugendlichen. Die Tänzer machten hier spürbar, wie nah dabei Sport und Kampf, Wettstreit und Aggression zusammenliegen.

Das Programm war gekürzt um einen politischen Zyklus: Die Geschichte der aus dem vertrocknenden Nordosten Brasiliens in die Regenwälder umgesiedelten Emigranten, den „Gefangenen des Urwalds“, wurde den Bremern vorenthalten. Stattdessen durften sie sich zum Finale unter die Farbenpracht mischen und wieder wurde in besonderer Weise den Alten gedacht: Ein Opa durfte seine Hände auf die Wackelhüften einer großen Mulattin legen und ließ sich von ihr minutenlang über die Bühne ziehen. Der Ärmste sah aus, als hätte man ihn gezwungen, Autoscooter zu fahren.

Rainer Köster