Der Norden taut auf

Tanz der närrischen Vampire: Während die alternativen BremerInnen ihren Karneval auf der Straße und im Alten Gymnasium feierten, lud das Bremer Goethe-Theater zum „Tanz der Vampire“ ein  ■  Von Kerstin Dreyer

„Bin ich unmöglich oder bin ich Vampir?“: Eine Frage, die sich am Sonnabend einem jeden stellen mußte, der sich richtig zum Bremer Karneval einsortieren wollte. Altes ehrwürdiges, humanistisches Gymnasium oder Freies Hanseatisches Theater?: das war hier zu entscheiden. Aber noch nicht am Nachmittag, da stand es noch jedem frei, welche Seite seines Selbst er zu Sambarythmen den Ostertorsteinweg entlang rütteln und schütteln wollte.

Um punkt fünf Uhr fand der Bremer Karneval seinen Anfang auf dem Marktplatz, wo auch sonst. Zu bewußten Sambaklängen zogen da gar merkwürdige Vögel und Wesen an den staunenden Zuschauern vorbei. Das wahre Gesicht hinter der Halbe

Meter-Pappnase nur durch die Gucklöcher erahnend, fand sich Frau, Mann und Kind des öfteren Nase an Nase mit diesen sehr anschmiegsamen und kontakfreudigen Wesen wieder. Der Kälte zum Trotz brachten die Umzügler tatsächlich ein Stück Rio nach Bremen.

Der Teil der staunenden Zaungäste, die schon zu dieser lichten Zeit die Narrenkappe aufzusetzen wagten, reihte sich am Ende des Zuges ein, so daß dieser um einiges länger seinen Weg in eigentliche Herz Bremens fortsetzen konnte. Dem Streifenwagen der Polizei am Anfang des Zuges wurde gestern sogar Wohlwollen entgegen gebracht, einzig die selbsterklärten Regenten der Sielwallecke zogen sich recht mürrisch in den Eingang des Cinema zurück.

Das „Unmöglichste am Ball

der Unmöglichkeiten“ im Alten Gymnasium schien die räumliche Planung in Relation zu der Zahl der Besucher zu sein. Viele der Zuersterschienenen liefen am Anfang noch relativ verloren durch die großen Gänge und Hallen. Viele Spätankömmlinge (die zum Teil auch deswegen so spät kamen, weil sie die ganze Zeit mit dem Zug mitgelaufen waren) mußten an der Kasse auf Grund Karten und Platzmangel mit ihren bunten Kostümen und bemalten Gesichtern traurig zurück in die Nacht und nach Hause ziehen, wenn sie nicht auf einer anderen Faschingsparty Obdach gefunden haben.

Die wunderschöne Dekoration, die guten Musikgruppen und die besonders gute Gay-Show der Bremer Schmusetanten, alles fiel dem expandierenden Massenauflauf zum Opfer.

Als wenn im AG nicht genug Platz wäre. Während unten „Samba Confusao“ und die „Ramba Sambas“ mit ihren fantastischen Kostümen den Saal tatsächlich zum Kochen brachten, (die Hitzewelle aus dem Eingang zwang schon den einen oder anderen zum Beidrehen), entfachte oben „Auf Teufel komm raus“ eine neue Nostalgiewelle. Mit „siebzehn fängt das Leben erst an“: Dieser Schlager veranlaßte das Publikum, sämtliches zweifelhaftes deutsches Schlagerliedgut zu gröhlen, was seinen Abschluß in ohrenbetäubenden Zugabeforderungen fand. Da scheint ein großer Aufarbeitungsbedarf zu bestehen, keiner war darunter, der nicht nicht die Texte wußte.

Auf derselben Bühne, eine halbe Stunde später: Die Bremer Stadtschmusetanten mit der

Kurzfassung eines Vampierdramas, in den Tiefen Schottlands gelagert. Der Vampier hat noch binnen vierundzwanzig Stunden drei Jungfrauen zu bebeißen, hier muß er sich Dank der Kurzfassung auf zwanzig Minuten beschränken. Ein musikalisches Travestiechorstück, wie zumindest ich es noch nie gesehen habe. Ganz ohne Marlene Dietrich und Liza Minelli, einfach nur zum Totlachen.

Es wird wohl auch noch einige andere aus dem Gedränge zu den leibhaftigen Tanz der Vampire im Theater getrieben haben, zu den Senioren im Saal, oder den Jungbeißern im Rang. Viel Schwarz, viel blaß, viel Eckzahn, was auch sonst bei dem so originellen Motto: gehe ich als Vampier oder als Vampier. Trotzdem eine amüsante und unblutige Stimmung der gediegeneren Art.