Krieg in Bremen vom 24.2.bis 9.3.

■ Wie alle zwei Jahre nimmt Bremen auch 1989 wieder am Kriegsspiel der Nato teil / Szenarios aus den Denkvorstellungen des kalten Krieges / Zum zweitenmal begnügt Bremen sich mit der untersten Beteiligungsstufe als bloße „Ansprechgruppe“

Wenn Sie sich einbilden, Sie könnten sich in Ihren Golf setzen und in der Hoffnung auf Westwind in die Bretagne flüchten, irren Sie sich. Wenn Sie denken, Sie könnten das wichtigste zusammenpacken, Eltern und Freunde anrufen oder auch nur Ihre Tochter per Telefon aus der Schule nach Hause bitten, dann sind Sie schief gewickelt. Wenn in Bremen der Notstand ausgerufen wird, sind die Straßen, Bahnhöfe und Flughäfen abgeriegelt. Ihr Telefon ist abgeschaltet - wenn Sie nicht wie der Polizeisenator oder der Bürgermeister auf der Telefonabsperr-Ausschlußliste stehen. Sie sitzen fest.

Aber: Für alles ist gesorgt. Im Tresor der Bremer Landesbank liegen fix und fertig die Lebensmittelkarten. Die „Notbrunnen“ sind schon vorbereitet und können mit einem Satz Armaturen zu Not-Wasserstellen für die eimerbewehrte Bevölkerung werden: An der Hamburger Straße, im Bereich der Lindenhofstraße - überall im Stadtgebiet. Militärfahrzeuge und bewaffnete Männer werden an den Ausfallstraßen die, die es mit Golf, Dackelund Familien doch versuchen, nachdrücklich und notfalls mit Waffengewalt zurückschicken. „Stay-Put!“, also „Platz!“, ein Wort aus der englischen Hundedressur, lautet dann der herrische Befehl.

Von selbst organisiert sich das alles nicht. Möglichst unbemerkt hat jede Behörde ihren „Sicherheitsbeauftragten“, der normalerweise vielleicht Anträge auf Sozialhilfe prüft oder Pässe ausstellt. Für den Kriegs-oder Katastrophenfall aber kennt und hat er die Einsatzpläne.

Die Sicherheits-Beauftragten müssen natürlich absprechen: Wenn Notkrankenhäuser in den Schulen eingerichtet werden, die

neben Kindertagesheimen mit Kochgelegenheiten liegen, sind schon drei Behörden betroffen: Bildung, Jugend und Gesundheit. Bei Radio Bremen müssen die Texte vorliegen, die regelmäßig über den Sender gehen und die Bevölkerung zum Stillhalten zwingen. Der Maurermeister muß wissen, wohin er seinen Pritschen-LKW zu bringen hat, auf dem jetzt statt Zement Munition für die Ausfallstraßen transportiert wird.

Ob solche Szenarios für die militärische oder die zivile Katastrophe durchdacht, vorbereitet, aus

gefeilt und geheimgehalten werden, ob also für den Fall „die Russen kommen“ oder „ein Tiefflieger hat das Atomkraftwerk Esensham getroffen“ geübt wird, ist kaum zu trennen und spielt für die Planer nur eine Nebenrolle. In kombinierten Übungen für zivile und militärische Ernstfälle trainieren alle zwei Jahre alle Nato-Länder das Funktionieren und Kooperieren zwischen Polizei, Militär, Krankenhäusern, Verkehrsregelung, Wasserversorgung und so weiter. Alle Bundesländer, Städte und Kommunen machen mit. 1989 ist wieder so ein Jahr:

Vom 24. Februar bis zum 9. März spielt auch Bremen Krieg oder Katastrophe: „Wintex/Cimex“. Wintex heißt winter exercise und meint den militärischen Teil, „Cimex“ ist die Abkürzung für civil military exercise. Da brausen aber nicht etwa richtige Panzer über den Domshof. Wenn Bremen den Krieg übt, wird fast niemand etwas davon merken. So, wie bei Monopoly am Wohnzimmertisch Häuser gekauft und Existenzen vernichtet werden, spielt sich Wintex/Cimex an den Schreibtischen und Computern und über Funk der Behörden ab Mittel

punkt ist der Innensenator.

Angenommen werden militärische oder zivile „Lagen“, die mit Hilfe aller betroffenen Behörden bewältigt werden müssen. Bekanntgeworden sind Szenarios wie Demonstrationen oder Sabotage gegen miltärische Mobilmachung, Massenaufbruch von ausländischen ArbeitnehmerInnen, Studentenrevolte.

Damit die Sicherheitsbeauftragten in den Behörden über die Jahre nicht einschlafen und die Einsatzpläne in den Safes verschimmeln lassen, werden sie angerufen, müssen sagen, wieviele

Menschen in Bunkern Platz haben, in welchen Häusern Platz für Flüchtlinge ist, welche Krankenschwestern unter welcher Nummer zum Kriegsdienst verpflichtet werden können, müssen in Gedanken - Schulen evakuieren. Die Inhalte der Übungen werden geheimgehalten.

Bremen hat das Kriegspielen zurückgeschraubt. Wie schon vor zwei Jahren unter dem damaligen Innensenator Kröning wird es 1989 nicht als selbständiger Planungsstab, sondern nur als „Ansprechgruppe“ mitspielen - nach den Spielregeln der Nato die unterste Beteiligungsmöglichkeit. „Wir haben von Übung zu Übung festgestellt: Die fachlichen und politischen Voraussetzungen sind problematisch“, erklärte Kröning gegenüber der taz den Schwenk von 1987. Einen totalen Ausstieg hielt der damalige Innensenator aber damals wie heute für falsch: weil für zivile Chemie-oder Atomunfälle der Katastrophenschutz im Verbund mit den andern Bundesländern funktionieren müsse und die Hälfte der Sachaussattung aus Bonn bezahlt wird.

Aus dem 1987er Plan, zumindest die Abstände zwischen den Wintex/Cimex zu vergrößern und in der Zwischenzeit das Ganze im Zusammenhang mit der Abrüstungsdebatte zu überdenken, ist bislang nichts geworden.

Weil Kriege nicht durchs Kriegüben, sondern nur durch radikale Verweigerung aller auch vermeintlich zivilen Vorbereitungen verhindert werden können, appellierte der Zivilschutz-Experte der Bremer Friedensbewegung, Rudolf Prahm, jetzt in einem offenen Brief an den Innensenator, ganz „Nein“ zu sagen zu Wintex/Cimex (vgl. Dokumentation auf dieser Seite). Susanne Paa