Die SPD soll bei den drei Essentials ganz hart bleiben

■ Otto Schily, MdB der Grünen, kommentiert das rot-grüne Abenteuer / Regierungsparteien werden ohne die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols nicht auskommen / Will AL Regierungspartei und gleichzeitig Systemopposition werden?

Für einen Individualisten wie Otto Schily, ist es schwer mit so einer Partei wie der AL klarzukommen. Wie siehst Du deine Rolle in bei den Grünen?

Es ist ja wieder Mode geworden, die Grünen und die AL in einem Atemzug zu nennen. Das ist ein Phänomen, was seine eigene Ausdruckskraft hat. Ich habe mit der Grünen -Parteibasis nicht die Schwierigkeiten, die Du mir unterstellst. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich zu den Menschen, die uns Grüne wählen, einen sehr direkten und unkomplizierten Zugang habe. Meine Schwierigkeiten habe ich im Umgang mit den FunktionärInnen der Partei. Dort haben sich Seilschaften und Cliquen entwickelt, die unerfreulich sind. Dort stoße ich auf einen gewissen Widerstand. Zur Alternativen Liste, deren Mitglied ich nicht mehr bin, habe ich erhebliche inhaltliche Differenzen. Eine davon ist die Gewaltfrage. Das Programm der AL zur Gewaltfrage finde ich unakzeptabel.

Was genau stört dich daran?

Die AL hat in ihrem Wahlprogramm eine klare Abgrenzung zu gewalttätigen Gruppen nicht vollzogen. Im Gegenteil, es bleibt die Option für eine spontane außerparlamentarische Militanz, die ich für sehr fragwürdig halte. Erst recht wenn man sich anschickt, Regierungspartei zu werden. Unter dem Beifall der AL-Delegierten hat der frühere Bundesvorstandssprecher der Grünen, Christian Schmidt, die Trennungslinie zwischen den angeblichen Linken und den angeblichen Rechten in der Partei unter anderem an der Frage festgemacht, ob das staatliche Gewaltmonopol anerkannt wird oder nicht. Regierungspartei werden ohne Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols, das geht nicht.

Darüber sind sich doch die Alternativen im Klaren. Das Programm der AL ist eben voller widersprüchlicher Aussagen.

Die Klarheit in der Gewaltfrage gibt es bei der AL bis heute nicht. Christian Ströbele wich der Frage im Saarländischen Rundfunk aus, ob denn die AL bei gewalttätigen Demonstrationen die Polizei einsetzen werde. Er meinte, das wäre dann nicht mehr nötig. Im übrigen sei die Gewalt auf der Straße immer auf das Verhalten der Polizei zurückzuführen. Diese Einschätzung ist bestenfalls naiv. Im Zweifelsfall aber Selbstbetrug. Wer die Ereignisse in Berlin verfolgt hat, weiß sehr genau, daß Gewalt in vielen Fällen erst von bestimmten Personengruppen und nicht von der Polizei provoziert worden ist.

Aber die Autonomen werden ja nicht zur Regierungspartei. Und daß es da Widersprüche geben wird, wenn die AL erst einmal Regierungspartei ist, mit den außerparlamentarischen Bewegungen, das ist doch jedem klar?

Aber die AL muß doch eine klare Antwort auf die Frage nach der Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols geben.

Die werden genauso volontaristisch, wie sie jetzt einstimmig einen Beschluß für rot-grüne Koalitonsverhandlungen verabschiedet haben, nicht nur auf Distanz zu solchen außerparlamentarischen Gruppen gehen, sondern auch in offenen Gegensatz zu ihnen geraten. Und die Polizei einsetzen, wenn sie den Innensenator stellen sollten.

Den werden sie wohl nie stellen, jedenfalls auf Jahrzehnte nicht. Es ist für mich auch eine Frage der Ehrlichkeit, wie die AL mit ihrem Schwenk umgeht. Sie tut ja so, als ob es das Selbstverständlichste sei, daß sie jetzt in Koalitionsverhandlungen mit der SPD eintritt. Wenn wir uns erinnern, wie einige der jetzigen Mandatsträger ihre Kandidatur mit heftigen Attacken gegen Koalitonsbefürworter begründet haben, ist das schon einigermaßen bemerkenswert. Ich denke für die politische Fundamentierung einer solchen Gruppierung wie der AL, die ohnehin nicht gerade eine sehr konistente Struktur hat, ist es gut, wenn sie die Korrektur, die sie jetzt vornimmt auch nach außen hin deutlich macht. Die AL ist nicht zu tadeln, weil sie gegenwärtig einen Schnellkurs in Pragmatismus absolviert. Aber sie soll sich das selbst eingestehen. Du kennst die Geschichte von Brecht über Herrn K., der einen alten Bekannten trifft und der sagt, du hast dich ja überhaupt nicht verändert. K. erbleicht heißt es lakonisch bei Brecht. Einen gewissen Spott kann ich mir nicht verkneifen, daß es neuerdings als die größte Errungenschaft gilt, was andere schon seit Jahren gesagt haben.

Im Unterschied zu den anderen ist doch hier ein Konsens da, von dem Du immer geträumt hast?

Wenn er echt ist. So ganz glaube ich das noch nicht. So sehr ich für Koalitionen mit der SPD bin, so sehr warne ich vor einer Koalitionstrunkenheit. Die ist gefährlich, schon deshalb weil die Verhandlungen mit der SPD nicht dazu führen dürfen, wie Harald Wolf es formuliert hat, sich mit sozialdemokratischer Programmatik nebst grünen Einsprengseln zu begnügen. Ich rate der SPD, bei den drei Essentiels ganz hart zu bleiben. In aller Ruhe über die Sachpunkte zu verhandeln aber die drei Essentiels liegen am Ende der Verhandlungen auf dem Tisch und dann darf sich niemand mit irgendwelchen Formelkompromissen daran vorbeimogeln, wie die AL sie anbietet.

Oder die SPD ...

Auch die SPD sollte sich davor hüten. Das gilt nicht nur im Interesse der SPD, nicht nur im Interesse von West-Berlin, sondern auch im Eigeninteresse der AL.

Wenn ich dir zuhöre, habe ich das Gefühl, so richtig positiv siehst Du die Entwicklung in Richtung eines rot -grünen Bündnisses in West-Berlin nicht?

Doch, wie Radio Eriwan. Im Prinzip ja, aber man muß dann schon ins Kleingedruckte gucken. Ich bin ein skeptischer Befürworter einer rot-grün-alternativen Koalition in Berlin. Aber die Frage ist, wie sieht diese Koalition programmatisch aus. Ich habe hier zum Beispiel ein Verhandlungspapier der AL zur Umweltpolitik vorliegen. Da sind einige sehr gute Vorschläge drin.

Aber eines an dem Papier macht mich stutzig. Da steht: kein Stromverbund zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin und an anderer Stelle wird der Stromverbund dazwischen der DDR und West-Berlin gefordert. Das verstehe ich nicht. Ist der Atomstrom aus der DDR besser als der aus der Bundesrepublik? Oder meint die AL, West-Berlin käme mit der DDR besser zurecht als mit der Bundesrepublik?

So sehr ich für eine gute, vernünftige Verbindung mit der DDR bin, so skeptisch bin, ich wenn versucht wird, die Bindung an die Bundesrepublik zu lockern und gegen Bindungen an die DDR einzutauschen. Um es einmal verkürzt zu sagen. Die Westbindung West-Berlins ist überhaupt die Grundlage dafür, daß Berlin eine Rolle im Ost-West-Dialog spielen kann. Ein anderes Beispiel: Wenn es in dem Beschluß über die streitbare Zusammenarbeit mit der SPD heißt: Eine rot-grüne Kooperation im Parlament könne nur dann ein Faktor eines langwierig angelegten Wandels sein, wenn der Druck auf die Institutionen, die dieses System tragen auch und vor allem außerparlamentarisch verstärkt werde. Gut. Parlamentarismus allein bewirkt keinen gesellschaftlichen Wandel. Dem stimme ich sogar zu. Aber in einem anderen Sinne. In dem Papier der AL scheint mir die Vorstellung vorhanden zu sein, durch Druck auf der Straße müsse ein Systemwandel herbeigeführt werden. Vor allem das Wort Systemwandel ist für mich verdächtig. Ich habe den Eindruck die AL will Regierungspartei werden und gleichzeitig Systemopposition. Das geht nicht. Damit überfordert sich die AL auch.

Der gesellschaftliche Wandel kommt ja ohnehin nicht aus den Parteien sondern aus geistig-kulturellen sozialen Prozessen. Das was an den Universitäten vor sich geht ist für den gesellschaftlichen Wandel von viel größerer Bedeutung als alles was in der AL passiert. Nur, die Parteien und allen voran die AL müßte in der Lage sein, solche Prozesse aufzunehmen.

Gegenüber der SPD müßte die AL durchaus mehr ökologisches Profil zeigen. Berlin über Nacht zur autofreien Stadt zu erklären, das geht wohl nicht. Aber warum fordert die AL nicht wenigstens sieben autofreie Sonntage im Jahr.

Wie siehst Du den Wahlerfolg der Republikaner?

Die Republikaner und ihr Erscheinen ist fü mich vergleichbar mit Erscheinungen wie wir sie in Frankreich haben. Es gab Poujade und es gibt Le Pen. Wahlanalysen zufolge sind die Republikaner am stärksten in den Stadtgebieten mit schwachem Bildungsniveau und großer Wohnungsnot. Etwas verkürzt gedeihen sie aus dem Ressentiment und dem sozialen Elend. Eine neue Stadtregierung hat die Aufgabe, durch eine neue Politik zu verhindern, daß das Protestpotential der Stadt bei den Republikanern landet. Diese Aufgabe muß ohne Volksfront -Rhetorik nüchtern angegangen werden.

Warum mischst Du hier in Berlin nicht mit?

Mit diesem Gespräch mische ich mich ein. Der rot-grünen Stimmung kann sich im Augenblick in Berlin kaum jemand entziehen. Aber hoffentlich hält die Wirklichkeit, was die Idee verspricht.

Interviews: Max Thomas Mehr