ZASPAK ODER DIE LEERE

■ Symposion am autonomen Fachbereich Architektur an der Technischen Universität

Modelle dienen der Orientierung, der Phantasie und dem Spiel. Zugleich sind sie Mittel der Abstraktion einer defizitären Wirklichkeit. Sie sind für Wunschproduktionen der ideale Partner, ein künstliches Ergebnis und Vision in einem und therapeutischer Prozeß gegen die Desillusionen temporärer Erscheinungen.

Architekten lieben das Spiel mit Modellen aus Profession, bleiben sie doch oft die einzigen Zeugen ihrer eigentlichen Absichten und Indizien gegen den Beweis schlecht gebauter Häuser und Städte. Architekten lieben das Spiel mit Modellen umso mehr, wenn draußen alles zusammengekracht ist und endlich wieder zugelangt werden kann.

Die Studenten am autonomen Fachbereich Architektur an der TU sind im Streik für eine bessere Ausbildung. Der Betrieb ist ohne ihr Zutun zusammnengebrochen, die Professoren verkalkt, die Lehre fast unmöglich, und der Mitbestimmung geht es an den Kragen. Außer dummen Sprüchen ist nichts in Aussicht, und mit Lockgeldern soll der Krawall beruhigt werden.

Wo nichts mehr ist, dienen Modelle zum Träumen für eine bessere Zukunft und als Ersatz für die Ruine fachidiotischer Wirklichkeit, die, sortiert nach Regeln und Fakten, Bauphysik und Statik, Heizungs- und Lüftungstechnik, Installation und Bauökonomie, einen autonomen Alltag ganz anderer Art führt, und die nur für das Einprägen fachspezifischer Detailkenntnisse da ist. Studienschwerpunkte ohne Innovation, ohne Bewegung, ohne sinnliche Erfahrung. Oder wer hat Lust auf Tragwerkkonstruktionsrechnen?

Ein einwöchiges Architektur-Symposion mit internationalen und Berliner Architekturautoritäten und ehemaligen Querköpfen aus der Studentenbewegung ging letzte Woche über die Bühne des Fachbereichs, um den Gegenbeweis zur maroden Ausbildung zu führen: Nämlich daß Lehre mehr bedeutet als nur Büffeln hohler Formeln, daß der Anspruch auf selbstbestimmte Inhalte und strukturverändernde Formen besteht und schließlich, daß die Vision akademischer Utopie noch längst nicht ausgeträumt ist. Die eingeladenen Referenten sprachen zu Fragen der Baupraxis und Entwurfslehre, zum Verhältnis von Architektur und Geisteswissenschaften, zu traditionellen Formen der Ausbildung und feministischen Ansätzen. Übergeordnetes Thema aber blieb, wie sollte es anders sein, die Suche nach Modellen einer alternativen Architekturlehre.

Ob die Architekturstreik-AG gut beraten war, bauende und lehrende Koryphäen einzuladen und sich durch Vorträge didaktischer Erfahrungsberichte und pädagogischer Ausbildungsformen gut gemeinte Ratschläge zu erhoffen, ist fraglich, angesichts berechtigter Vorbehalte gegenüber jeder Art traditioneller Lehrmethoden. Gemessen an den strukturellen Forderungen kommt der Verdacht auf, daß der Wunsch inhaltlicher Neuorientierung durch mehr oder bessere Professoren und fachübergreifende Themen, einer schleichenden Akzeptanz für pluralistische Lehrmodi auf den Leim geht. Persönlichkeit markierende Stararchitekten und Entwurfsregisseure sind noch lange keine Garanten für ein neues Modell. Eher stehen sie für ein akademisches Perpetuum Mobile.

Wenn das zurückgewiesen wird, war die Veranstaltung ein Erfolg. Architekturlehre wurde diskutiert und ausgelacht, Ausbildungskonzepte werden gesucht, autonome Seminare wird es weiterhin geben, denn Modelle gibt's genug, auch zum Spielen. Nebenbei wurden die Fachbereichssitzung und Prüfungen gesprengt, und, die Bude war voll!

Traditionelle und moderne Modelle

Das „Bauhaus“ und die „Hochschule für Gestaltung in Ulm“ sind die Klassiker der Architektur- und Designerausbildung in Deutschland. Sie stehen für ein ästhetisches und pädagogisches Programm der Moderne, das die Architekturlehre als Form wissenschaftlich-technischer und sozial -integrativer Programmatik begreift. Das Konzept „Projektstudium“ nach '68 mit interdisziplinären Veranstaltungen, die Architekturschulen in Delft, Kassel u.a. knüpfen an die fachübergreifende Idee der Ausbildung an und versuchen sie neu zu definieren.

Die Transparenz methodischer Lehrinhalte und Ausbildungsformen wird aber verwischt, wenn die historische Originalität verlassen und Übertragungsmodelle angezettelt werden. Zu einem Anachronismus geriet Claude Schnaidts (Paris) Vortrag über Hannes Meyers Bauhauszeit. Dessen Idee einer streng rationalen und wissenschaftlich-objektiven polytechnischen Lehre, kombiniert mit Forderungen nach sozialem Handeln wurde auf die formalen Aspekte für die heutige Pädagogik reduziert. So sei Spezialisierung notwendiger Teil bei aller Komplexität in der Ökonomie umfassender Architektenausbildung und rationelles Lernen für kompetentes Bauen wichtig. Neue Inhalte, also Partizipation in Form selbstbestimmter Themen und Aspekte des Projektstudiums wie die Entwurfslehre, das liebste Kind der Studenten, werden neutralisiert durch falsch verwandte traditionelle Methoden.

So komfortabel wie Schnaidt die Architekturlehre einrichtet, so unbequem (Bernd Meurer, Darmstadt) soll Ausbildung sein, wenn die Verhältnisse sind wie in und um Ulm herum: Kleine Stadt, kleine Hochschule, kleine Seminare und kleine geniale Projekte animieren zum Streiten und Necken. So kann man/frau dann die Probleme spätkapitalistischer Ökonomie und mikroprozessoraler Arbeitsteilung, das Design von Turnschuhen und deren ökologische Entsorgung diskutieren, auch innerhalb des naturwissenschaftlichen Ausbildungsprogramms. Komplexität ist entscheidend, sonst fehlt der Überblick, so Meurer.

Modelle der Desillusion

Ist Architekturlehre im Vakuum, kommt jeder recht. Doch die philosophische Diagnose, daß die Probleme der sozio -kulturellen Unübersichtlichkeit im Zeitalter postmoderner Reproduktion auch für die Lehre nur ein Phänomen der Mode seien, ähnelt der Hilflosigkeit des armen Doktor Faust, der es trotz allem zu nichts gebracht hat, was wirklich zählt. Nämlich Magie!

Wenn mangelhafte Architekturlehre ebenso wie die gebaute Umwelt eine Kuriosität historischer Unzulänglichkeit ist und nur noch Fragmente im Zeichensalat dekonstruktivistischer Chaotik zu sehen sind (Arie Graafland, Delft), müssen sinnstiftende Gesamtprojekte beschworen werden. Die Formeln soziologischer Erkenntnistheorie können dann zu verbindlichen Zaubersprüchen werden, die die Geisteswissenschaft der Architektur bereitstellt. Joachim Krausse (Berlin), „ich bin ein alter 68er und habe Bloch gehört“, fordert daher zum Desertieren aus alten fachspezifischen Fesseln auf und stilisiert die Probleme der Architekturlehre zu welchen postmoderner Haltlosigkeit, denen nur mir kulturwissenschaftlicher Propädeutik beizukommen ist. Und Franziska Bollery (Delft), „ich bin eine alte 68erin“, riet das Handwerskzeug verantwortungsbewußter, fester Regeln zu rekrutieren und die fachspezifischen Polaritäten aufzuheben. So werde dem Verfall heterogener Auflösungserscheinungen und der Ausbildungspathologie ein Ende gemacht. Der Geist der Utopie werde wieder greifbar, wenn ein geistiges Kraftzentrum geschaffen wird. Modelle verlorener Illusionen?

Die Erlebnismodelle

Modelle zum Spielen schaffen Erlebnisräume für große Köpfe. Für die Architekturausbildung gehört der Entwurf zum Wunsch und das räumliche Erleben in die Sparte Phantasieproduktion. Es wird ausgedacht, hin- und herüberlegt, an moralischer Integrität sowie an ästhetischen Maßregeln gemessen. Darum hat er eine phantasievolle Lösung eines Konzepts oder einer Idee zu sein. Um möglichst genial und kreativ entwerfen zu können, müssen starke Persönlichkeiten an die Universität, wie der smarte Walter Noebel aus Lausanne vorschlug. Unter deren Federführung sollen dann die Visionen der Architekturlehre endlich Wirklichkeit werden. Der Entwurfsprozeß in der Ausbildung für Räume und nochmals Räume wird dann zum Großteil künstlerische Arbeit und Zauberei. Er fördert dann, wie Schnaidt boshaft meinte, die elaborierte Bornierthheit elitärer Baumeisterchen und verhindere Disziplin und egalitäre Ausbildung. Prompt ging den Studenten an der persönlichkeitsarmen Berliner Massenuniversität der kreative Gaul durch. So hoffen doch einige, sich als „Entwurfsarchitekten“ durchzuschlagen. Vom Geist übermenschlicher Professoren „befruchtet“, von Ideen „stimuliert“, von Aufgaben „gepackt“ und „erregt“, formulierten einige kühne Träume bauerotischer Wunschproduktion. Hat Schnaidt doch recht?

Modellhafte Praxis

Gegen das Modell und seine ästhetische und abstrakte Wirkung(ungslosigkeit) klagt das Leben seine vielschichtigen Probleme ein. Komplexität meint da das Problem immerwährender Veränderung. Gemeint ist der Alltag: Plätze, Häuser, Hinterhöfe.

Ein Architekturunterricht, der den Alltag berücksichtigt, ist einer zur „Behandlung bäsartiger Probleme oder problemorientierter Unterricht“, dessen Anwendung Lucius Burckhardt aus Kassel forderte. Eine Ausbildung also, in der der Architekt lernen soll, sich mit unlösbaren, alltäglichen, sich ständig wandelnden Problemen auseinanderzusetzen, um mit ihnen zu konkurrieren. Der Lehrer verabschiedet sich vom akademischen Meistergehabe und wird selbst zum Lernenden. Der aufgeklärte Akademismus dagegen, hinter dessen Architekturausbildung sich das Code -Wort ZASPAK verbrigt, (formuliere das Ziel, Analyse des Probelms, Synthese, zeichne den Plan, mache die Ausführung, dann Kontrolle) arbeitet und lehrt mit einer Methode für eine harmonische Welt, die aber nicht existiert. AntiZASPAK dagegen ist der Versuch, ein Lehrmodell zu erarbeiten, das von Studenten verlangt, das Leben als problematisches Feld abzustecken und die Lehre als etwas zu begreifen, was gegen sicher scheinendes Terrain Widerspruch fordert. Methoden der Angstlosigkeit.

Die Rückeroberung sicher geglaubter Welten demonstrierte der Symposion-Frauentag, der nicht mit Modellen kam, sondern mit Forderungen und praktischen Vorschlägen. Orientierung bedeutet dort, daß selektives Wahrnehmen für frauenwürdige Ausbildung und Architektur den Formenkanon männlicher Dominanz zusammenreißt und mit neuen Inhalten belebt. Aspekte feministischer Architektur sind aber nicht nur Teil eines Sensibilisierungsprozesses, wie Kerstin Dörhöfer (Berlin) meinte, sondern eher die Erarbeitung zur Vorbereitung feministischer Architektur und Architekturlehre, die etwa zu jenen Ergebnissen kommt wie die Gruppe MATRIX, der Architektinnengruppe aus London. MATRIX lebt feministische Architektur in Arbeitszusammenhängen und frauengerechtem Bauen als Kooperative, die mit Frauengruppen, Lesben und schwarzen Frauen plant und diskutiert und Frauen ermutigt, sich am Entwurfskonzept und der Produktion zu beteiligen. Ein Weg der Rückeroberung.

Rola