Stalins Kino

■ Sowjetische Filme in der Retrospektive / „Ispanija“ von E. Schub

Fünfzig Filme aus zehn europäischen Ländern hat man für die Retrospektive der Berlinale ausgewählt um „Europa 1939“, wie es sich im Kino zeigte, zu rekonstruieren. Mit sieben Beiträgen ist hier der sowjetische Film vertreten. 1939 steht die UdSSR am Ende eines Jahrzehnts des „Aufbaus des Sozialismus in einem Land“, der Zeit der Zwangskollektivierung und beschleunigten Industrialisierung, des wachsenden Zentralismus und Bürokratismus, der Schauprozesse und „Großen Säuberungen“.

Für den sowjetischen Film war es der Abschied von den revolutionären Experimenten der 20er Jahre sowie die Hinwendung zu einer traditionelleren Filmsprache mit individuellen Helden und abgeschlossener Handlung. Der Sozialistische Realismus wurde 1935 auch für die Filmschaffenden zur allein seligmachenden Doktrin erklärt, zu einer Zeit, als sich der Tonfilm im Sowjetreich endgültig durchsetzen konnte. Man sollte sich nun von jeglichem „Formalismus“ befreien, mit dem Film seinen ideologischen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes übernehmen und in zunehmendem Maße dem Publikum patriotisches Bewußtsein und Stolz auf die historische Tradition einflößen. Trotz dieser eng gesteckten Grenzen haben sowjetische Regisseure auch in den Dreißigern künstlerisch interessante Filme gedreht.

Mit Ester Schubs Ispanija wurde am Freitag abend ein Dokumentarfilm über den Spanischen Bürgerkrieg gezeigt, dessen Montagetechnik in den Zwanzigern entscheidend von Dsiga Wertow und Lew Kuleschow geprägt wurde. Schub hat in diesem Genre mit einer Reihe von historischen Montagefilmen ihren spezifischen Beitrag geleistet.

Der Film beginnt mit dem Bild eines Dudelsack spielenden Bauerns, man sieht die strohgedeckten Hütten eines nordspanischen Dorfes, die Fresken einer alten Kirche, singende Mädchen beim Flachsspinnen, die Arbeit der Fischer, Apfelsinenernte in Südspanien, dann Madrid, Eröffnung der Nationalversammlung, begeisterte Massen, plötzlich sind wir für einige Minuten beim Stierkampf, Schnitt, ein sonniger Tag, die Hauptstadt geht spazieren, Text: „Über ganz Spanien wolkenloser Himmel!“ - das faschistische Kommando zum Angriff, am Himmel die Flugzeuge der Legion Condor, deren Dröhnen minutenlang die darauffolgenden Panikszenen unter der Bevölkerung übertönt.

„Ispanija“ ist natürlich ein Propagandafilm, er klärt nicht über den Hintergrund des Krieges auf, verherrlicht die Rolle der Kommunisten, verschweigt die Anarchosyndikalisten und am Ende sind wieder die bösen Trotzkisten dem Volk in den Rücken gefallen.

Doch davon abgesehen hat Schub zusammen mit dem Dramatiker und Drehbuchautor Wischnewskij eine Fülle von beeindruckenden Dokumentaraufnahmen während des Krieges benutzt, hat Archivmaterial, Szenen aus Jeris Ivens‘ The Spanish Earth und aus erbeuteten Filmen der Faschisten geschickt montiert. Schub arbeitet reichlich mit Musik, seien es spanische Folklore, kommunistische Kampflieder oder bedrohlich klingende Streichersätze. Dies steigert die Eindringlichkeit der Bilder, die pathetischen, in Wochenschau-Manier vorgetragenen Sprecherkommentare wirken heute eher störend und wurden leider auch nur unzureichend übersetzt.

Die weiteren Sowjetproduktionen in der Retrospektive sind ausnahmslos Spielfilme, beginnend mit Alexander Dowschenkos Stschors über den ukrainischen Partisanenführer, ein zweieinhalbstündiger Streifen, der auf Wunsch Stalins entstand. Während der dreijährigen Dreharbeiten mußte Dowschenko jede Szene mit den Leuten abstimmen, von denen er dachte, daß „sie wußten, was Stalin wollte“. Trotz dieser Umstände scheint die Arbeit Dowschenkos einige Qualitäten aufzuweisen, der Kritiker V.Schklowski bescheinigte ihm, „die Leinwand verbreitert zu haben“. (Di., 14.2., Astor, 18.15 Uhr).

Semja Oppengejm („Die Familie Oppenheim“) nach dem Roman von L.Feuchtwanger ist einer der sowjetischen Filme, die sich nach 1933 mit der Entwicklung in Deutschland auseinandersetzten und die nach Abschluß des Nichtangriffspakts bis zum Überfall auf die Sowjetunion nicht gezeigt werden durften. (Fr., 17.2., Astor, 13.45 Uhr). Den Weg eines unpolitischen Arbeiters zum politisch bewußten kommunistischen Funktionär schildert die Trilogie von Maxim der Regisseure Kosinzew und Trauberg. Der dritte Teil Die Wyborger Seite („Wyborgskaja storona“), der zur Zeit der Oktoberrevolution spielt, zeigt wie Maxim (B. Tschirkow) es als politischer Kommissar zum Leiter der Staatsbank bringt. Lenin (M. Schtrauch) und Stalin treten ebenfalls auf. (Fr., 17.2., Cinema Paris, 18.00 Uhr).

Teil einer Trilogie ist auch Wljudjach („Unter Menschen“) des begabten Regisseurs Mark Donskoi, der Maxim Gorkis dreiteilige Autobiographie zur Vorlage nahm, um ein Bild Rußlands um die Jahrhundertwende zu entwerfen. Donskois Werk ist vor allem durch das Spiel der Kinderdarsteller und die Aufnahmen der Wolgalandschaft berühmt geworden (So., 19.2., Astor, 11.00 Uhr)

Utschitel („Der Lehrer“) von Sergej Gerassimow erhielt 1939 in der Sowjetunion den ersten Preis für das beste Drehbuch. Die Veröffentlichung desselben entfachte eine heftige Pro- und Contra-Diskussion, an der sich vor allem Lehrer beteiligten, die den Film als wertvoll für die Verbesserung des Schulwesens ansahen. Die vielfältige Kritik führte zu einer Reihe von bedeutenden Änderungen im Szenario während der laufenden Dreharbeiten.

mawe

Alle Filme, soweit nicht anders angegeben, im Astor, Kurfürstendamm 217.