Nichts als Eigentlichkeit: Carlos Sauras "Dunkle Nacht"

Alain Cavalier (Therese), Maurice Pialat (Sous le soleil de Satan), Martin Scorsese (The Last Temptation of Christ) und nun Carlos Saura mit La Noche Oscura: Wenn die Herren in gewissen Ländern und Kulturen in ein gewisses Alter kommen, fangen sie an über religiöse Fragen zu spekulieren. Eine zentrale Rolle spielen dabei immer die Mädchen. Als rotblondgelocktes Kind erscheint der Teufel Jesus, Gerard Depardieu zerbricht als Priester an Sandrine Bonnaire, Therese wird heilig und tuberkulös und Juan de la Cruz (?) hat eine Vision Julie Delpys - das ist eine Entdeckung von Jean-Luc Godard, eines jener frivolen Madonnengesichter, die dieser so schön ins Licht setzt.

Die Dinge sind einfach und wahr im weichen Kerzenschein, die Fingernägel schmutzig, die Krüge irden, die Kutten hären, die Mahlzeiten frugal, die Cello-Suiten von Bach, die Kamerafahrten langsam, die Mönchsgesichter ernst und zerfurcht. Nichts als Eigentlichkeit, Kunsthandwerk. Sowas hängt man sich Weihnachten ins Fenster.

Juan de la Cruz sitzt in Isolationshaft. Er hat den Regeln seines Karmeliterordens abgeschworen. Es ist spätes 16. Jahrhundert. Der Orden wittert einen Reformatoren im Barfüßer und sperrt Juan ein. Einmal in der Woche - Freitag ist Bußtag - wird er gezüchtigt. Die Rute schreibt ihm ein blutiges Ornament in den Rücken. Den Rest der Zeit sitzt er in seiner Zelle und quält sich aufs zutiefst Ergreifende selbst. Wie gesagt: Julie Delpy sucht ihm heim, die schöne und begabte, leider vom Teufel besessene Nonne, deren Inquisitor er einst war.

La Noche Oscura hat neun Stationen, die erste ist der November 1577, die letzte der darauffolgende Juli. Mit der Zeit wird es also wärmer. Juan freundet sich mit seinem Wächter an und läßt sich Vergünstigungen gewähren, die zur Strenge seiner Moral im Widerspruch stehen, eine neue Kutte, vor allem Tinte und Papier. Er hat jetzt nicht mehr sosehr Schreckgesichte als Inspirationen, vor deren Schönheit ihm selbst schaudert. Liebeslieder der Seele an ihren Bräutigam, die vor Begierde vibrieren. Am Ende kann man dem Film die Achtung nicht versagen, denn er schildert eine Befreiung. Juan macht sich aus seiner Kutte einen Strick, um sich auf klassische Weise aus seinem Gefängnis herabzuhangeln. Es ist, als wollte er die Wiesen und Blumen, Locken und Augen, die in seinem Buch der Lieder-Mystik zu Metaphern geworden sind, nun wirklich spüren, gar als hätte er sich in einer Art poetischer Selbsttherapie zum eigentlichen Eigentlichen

-dem Einen - bekehrt. Gott sei Dank.

thc

La Noche Oscura, von Carlos Saura, mit Juan Diego, Julie Delpy, Fernando Guillen, Spanien 1988, 91 Min.

13.2., Gloria-Palast, 11.15 Uhr; Urania Humboldtsaal, 21.00 Uhr

14.2. Capitol Dahlem, 20.30 Uhr