Übertrieben

■ Hans Fallada - Letztes Kapitel von Roland Gräf

Vieles ist falsch an diesem Film, aber das Schweigen stimmt. Dennoch geht man mit. Mit einem der versagt. Aber es ist falsch. Es ist zuviel. Es ist übertrieben. Er reißt das Tischtuch mit dem Mittagessen runter. Was für eine Verschwendung, und nur, weil das Essen fünf Minuten zu spät aufgetragen wurde. Weil er so wütend ist, geht er schnurstracks zum Dienstmädchen ins Zimmer, aber das wird abgeblendet, ein Film über einen Toten darf nicht unkeusch sein. Kein Fleckchen Haut sieht man von ihm, nur einmal eine Narbe, dabei wäre die Haut doch so interessant, weil er ein Frauenliebling ist. Die Rede ist von einem der Hänse.

Hans Fallada - letztes Kapitel, DDR 1988, Regie Roland Gräf, und im Wettbewerb. Hans Fallada, bekannter Schriftsteller, packt es nicht, 1933 aus Deutschland fort zu gehen. Er bleibt und leidet, verzweifelt, trinkt und nimmt Morphium. Verfolgungswahn. Er will wieder gut sein. Seine Frau, die verhärmte Anna, nennt ihn „mein Junge“. Er hat einen Knacks. Und zwar einen gewaltigen. Vor solchen Männern muß man sich hüten. Sie sind hinreißend in ihrem Leiden, wirken wie ehrliche Jungens und verheizen einen im nächsten Augenblick vollständig. Sind nur mit sich selbst beschäftigt und mit ihrer Sucht. Der Schauspieler Jörg Gudzuhn stolpert als Hans sehr überzeugend durch Falladas Leben. Er hat die Falten, den tränenverbissenen Mund, die schlaffe Haut, das Abgehärmte im Gesicht, das Frauen so hinreißend finden. Und blaue Augen. Auch wenn man das Gefühl hat, hier wurde zu dick aufgetragen, zuviel geredet, zuviel gewütet und steif versöhnt, falsche Handbewegungen eingesetzt, die zeigen sollen, was längst klar ist, gibt es wunderbare Augenblicke.

Schreckliche Augenblicke eigentlich. Es ist Weihnachten. Hans hat seine Frau verlassen, war im Knast, trifft seine letzte Geliebte, von Katrin Saß gespielt, auf der Straße. „Ich hab‘ was für dich.“ Sie nimmt ihn mit unter'n Weihnachtsbaum. Sie knutschen auf der Couch. Man sieht ihre nackten, etwas dicken Schenkel und den Rand der Perlonstrümpfe (das alles ist Klischee und nicht so gut, aber das gute kommt noch). Sie steht auf, und schließt die Tür ab. Sie geht an die Schublade. Holt eine Ampulle raus. Zieht eine Spritze auf. Seit Jahren hat er nichts mehr genommen. Er liegt auf der Couch. Zerknittert, benommen, unglücklich. Seine Augen sehen ihr zu. Lange, langsame Sekunde des Begreifens. Man wartet auf die Abwehr, auf das Nein, auf die Andeutung davon. Nichts. Nur ein kurzes, kleines Zögern, das sich in Entspannung löst. Die Augen werden groß und ruhig, das Gesicht glättet sich. Frieden auf Erden und Himmel. Sie macht sich den Arm frei, drückt die Nadel mit der braunen Flüssigkeit in ihr weißes, weiches Fleisch, gibt ihm. „Wir werden heiraten“, sagt er. Das ist heilige perverse Erotik. Verführung und Unterwerfung bester Klasse, gefährlichste Variante von Sado-Maso. Da wird der Wunsch nach Heirat Beweis der Sucht. Die böse Frau hat ihn verführt. So kann man es auslegen, braucht es aber nicht. Fallada - letztes Kapitel ist ein Film über einen Un -Mann, einen Intellektuellen, der nicht klare Stellung bezogen hat in der NS-Zeit. Der nach dem Krieg sogar kurze Zeit Bürgermeister in Magdeburg war. Ein Unpolitischer? Einer, der mit sich selbst nicht zu Rande kam.

Maria Neef-Uthoff

„Fallada - Letztes Kapitel“, DDR 1988, 99 Min., Regie: Roland Gräf

13.2., Capitol Dahlem, 18.00 Uhr