Der eisige Oberst

Kampf zweier Eishockeylinien in den sowjetischen Medien  ■  PRESS-SCHLAG

Das Tauwetter im sowjetischen Sport, von Stars wie dem Stabhochspringer Sergej Bubka, den Tennisassen Andrej Chesnokow und Natalia Zwerewa oder Fußballern wie Viktor Dassajew oder Alexander Zawarow freudig begrüßt, hat in der traditionellen Paradedisziplin des Landes, dem Eishockey, noch nichts zum Schmelzen gebracht - nicht einmal das Eis. Dort nämlich schwingt immer noch ein Vertreter der alten Schule das Zepter: Trainer Viktor Tichonow, der sich bislang gegen alle Kritiker und Reformisten durchgesetzt hat.

Der Stuhl des unbeugsamen Obersten der Sowjetarmee wackelt allerdings beträchtlich. Im Dezember griff ihn sein Weltklassestürmer Igor Larionow in der Zeitschrift 'Ogonjok‘, zu deutsch „Feuerchen“, wegen seines „unmenschlichen“ Führungsstils heftig an, im Januar brachte 'Nedalja‘ - „Die Woche“ - einen langen Artikel, in dem ein ehemaliger Trainer sowie der Vorsitzende des „Eishockeyverbandes der Gewerkschaften“ ihm schwere Fehler vorwarfen, und jetzt fiel auch noch die mächtige 'Prawda‘ über ihn her.

Stein des Anstoßes war das Schicksal des weltbesten Verteidigers der letzten zehn Jahre, Wjatscheslaw Fetisow. Der spielt zur Zeit nicht mehr bei Tichonows Armeeklub ZSKA Moskau, welcher nahezu identisch mit der Nationalmannschaft ist, sondern für die Bleistiftfabrik „Sacco und Vanzetti“. Bei ZSKA war er wegen eines heftigen, öffentlich ausgetragenen Streites mit Tichonow rausgeflogen. Fetisow hatte in der Zeitschrift 'Moskowskije Nowosti‘ den Cheftrainer bezichtigt, ihn grundlos als Kapitän der Nationalmannschaft und von ZSKA abgesetzt und seinen geplanten Wechsel in die Profiliga der USA (NHL) verhindert zu haben.

Obwohl Parteichef Gorbatschow höchstselbst zugestimmt hatte, war der Transfer zu den „New Jersey Devils“ geplatzt, weil die Armee ihr Plazet verweigerte. Fetisow sei als Major Geheimnisträger und habe als Inhaber des selten verliehenen Lenin-Ordens außerdem besondere Verpflichtungen. Er könne deshalb nicht ausgemustert, sondern nur beurlaubt werden. Ein Gesetz der USA wiederum besagt, daß Angehörige der Roten Armee keine Arbeitserlaubnis in den Staaten bekommen können.

Tichonow bestritt in der Zeitschrift 'Sowjetski Sport‘, etwas mit dem geplatzten US-Engagement zu tun zu haben, und plauderte boshaft aus dem Nähkästchen. Er habe Fetisow als Kapitän abgesetzt, weil dieser im Oktober versucht habe, auf einem Parkplatz in Kiew stockbetrunken in ein Wachhäuschen einzudringen. Als dem eingeschüchterten Wachmann die Polizei zu Hilfe geeilt sei, habe sich der Eishockeystar mit den Beamten geprügelt und dabei gerufen: „Ich bin der berühmte Fetisow, für mich will die NHL eine Million bezahlen. Und was seid Ihr wert?“

Wie dem auch sei, die Werksmannschaft von „Sacco und Vanzetti“ war hocherfreut über den prominenten Zugang, der bei der Moskauer Stadtmeisterschaft sogleich ausgiebig brillierte. Ansonsten aber löste der neue Arbeitsplatz des Weltmeisters und Olympiasiegers wenig Begeisterung aus. „Es ist absurd, wenn ein Spieler wie Fetisow für eine Bleistiftfabrik spielt“, wetterte die 'Prawda‘ und riet Tichonow dringend, seine Beziehungen zu den Spielern zu ändern. Alles wartet nun gespannt auf die Weltmeisterschaft im April in Schweden. Sollte die UdSSR dort nicht gewinnen, dürfte das Schicksal des eisigen Obersten auf der Trainerbank besiegelt sein.

Matti