Rentenkarussell: Omma wird verschaukelt

Die Chance, alte Frauen vor Armut zu bewahren, wurde nicht genutzt  ■  Von Maria Neef-Uthoff

Alte Frauen sind arm. Sie sind vor allem dann arm, wenn sie nicht verheiratet waren. In der Arbeiterrentenversicherung (ArV) erreichen Frauen eine Rente von 470 Mark, in der Angestelltenversicherung (AnV) dagegen auch nur von 832 Mark. Dies ist der Durchschnitt aller niedrigen, mittleren und hohen Renten zusammen. Vergleicht man diese Beträge mit den Renten für Männer, so erhält ein alter Mann in der ArV immerhin 1.221 Mark und in der AnV 1.750 Mark.

Das ist ungerecht. Frauen und Männer beziehen in ihrem Leben so unterschiedliche Löhne und Gehälter, daß die einen im Alter ganz gut versorgt sind, die anderen aber miserabel. Wenn man dann noch berücksichtigt, daß Frauen in der Regel länger leben als Männer, so wird auch klar, wie günstig die niedrigen Renten sich hier für die Gesetzgeber ausmachen. Wir alle kennen die Bilder der Armut in den Altenheimen, letzte, unwürdige Station eines arbeitsreichen Frauenlebens. Hätten diese alten Frauen mehr Geld in den Händen, würden sie diese bittere staatliche Abhängigkeit und Entmündigung, die ein monatliches Taschengeld von zirka 20 Mark vorsieht und sonst nichts, vermeiden können.

Die Ungleichheit bei den Rentenbezügen zwischen Männern und Frauen ist auch darin begründet, daß das Rentenversicherungssystem ein langes lückenloses Erwerbsleben in Vollzeitform voraussetzt. Frauen haben viel mehr Lücken in ihrem Rentenversicherungsleben. Neben Kindererziehungszeiten kommen zweite Ausbildungen dazu, Arbeitslosigkeit, Hausmutterzeit und last, not least, die Teilzeitarbeit, die sich verheerend auf die Beitragsleistungen auswirkt. Ganz abgesehen von all den Arbeitsverhältnissen, in denen Frauen gerade so viel verdienen, daß sie nicht versicherungspflichtig sind, nämlich 450 Mark im Monat. Seit langem fordern Frauen die Abschaffung besonders dieser Ungerechtigkeit, die nur dem Arbeitgeber dienlich ist, weil der keine Beiträge abführen muß.

Auch bei dem gerade geschlossenen Kompromiß zwischen der Regierungskoalition und der SPD für eine künftige gemeinsame Rentenregelung ist die Chance, die Armut von den Schultern der alten Frauen zu nehmen, nicht genutzt worden. Nach wie vor gilt beispielsweise die Versicherungsfreiheit bei, wie es so schön heißt, „geringfügiger Beschäftigung“. Aber das ist noch lange nicht alles. Man kann zwar sagen, daß der jetzt vorliegende Kompromiß gegenüber dem im Herbst vorgestellten ersten Entwurf sich für Frauen nicht mehr ganz so skandalös ausmacht. Gemessen aber an dem zur Zeit praktizierten, für Frauen heute schon schlechten Rentensystem ist die geplante Rentenreform eine zusätzliche Verschlechterung. „Enttäuschend ist es schon“, meint auch die Frauenbeauftragte der saarländischen Landesregierung Otti Stein (SPD). Sie hatte im Dezember vehement gegen den geplanten Entwurf des Arbeitsministers Blüm Stellung genommen. Sie kritisiert, daß in der Rentenstrukturreform „der Mann zum Maß aller Dinge“ gesetzt werde. Die lebenslange gleichmäßige Erwerbsbiographie eines durchschnittlichen Mannes wird als Norm gesetzt. Entsprechend sieht auch der Kompromiß aus. Verringerung der Ausfallzeite

Problematisch für zukünftige Rentnerinnen kann die neue Gesamtleistungsbewertung sein. Denn darin sind Ausfallzeiten enthalten, also Zeiten, in denen die Erwerbstätigkeit wegen Ausbildung, Studium, aber auch Arbeitslosigkeit und Krankheit unterbrochen wurde. Voraussetzung für die Anrechnung von Ausfallzeiten war bisher die sogenannte Halbbelegung, die folgendes bedeutet: während mindestens der Hälfte der Zeit zwischen Eintritt in die Rentenversicherung und Eintritt in die Rente müssen Beiträge gezahlt werden. Für die Ausfallzeiten und beitragsgeminderten Zeiten wurden bisher Beitragszahlungen oder Beitragshöhen angerechnet, die sich im wesentlichen auf die Durchschnittseinkommen aller Erwerbstätigen bezogen. Frauen haben im allgemeinen von dem durchschnittlichen höheren Lohnniveau profitiert. Das hat sich jetzt teilweise geändert. Zugrundegelegt wird jetzt die individuelle Gesamtbeitragsleistung, also das, was eine Frau individuell in ihrem Leben zusammengeschafft hat. Ausgenommen sind davon allerdings die ersten vier Berufsjahre, die aus der Gesamtbewertung herausgenommen werden und mit 90 Prozent des Duchschnittsentgelds relativ günstig ins Gewicht fallen.

Das ist aber noch nicht alles. Die anrechenbaren Ausbildungszeiten sind drastisch von maximal 13 Jahre auf sieben Jahre gekürzt. Längere Ausbildungszeiten, zum Beispiel ein unterbrochenes Studium wegen Mutterschaft, kann so zu einer Verminderung der Rente führen. Mit maximal 75 Prozent des individuellen Durchschnittsbeitrags sollen sie in Zukunft berechnet werden. Man erkennt ganz deutlich das Hangeln um Geben und Nehmen, und unterm Strich bleiben die jetzt ausgehandelten Verbesserungen marginal. Arbeitslosigkeit und Krankheit sollen künftig nicht mehr als Ausfallzeiten berechnet werden. War bislang der Ausgangspunkt der Berechnungen das letzte Brutto, und zwar bezogen auf die Beiträge zu 100 Prozent, so hat man die Berechnung jetzt komplizierter und undurchsichtiger gemacht. Die Beiträge in Zeiten von Arbeitslosigkeit und Krankheit bezahlte die Bundesanstalt für Arbeit entsprechend ihrer Lohnersatzleistungen, also entsprechend des Arbeitslosengeldes. Bei der späteren Rentenberechnung wurden aber nicht diese Beiträge zugrunde gelegt, sondern eine Beitragzahlung, die sich zu 100 Prozent auf den letzten Bruttolohn bezieht. Jetzt soll die Bundesanstalt für Arbeit selbst die hohen Beiträge übernehmen. Allerdings betragen sie nicht 100 Prozent, sondern nur 80 Prozent. Unterm Strich heißt auch das: Je länger die Arbeitslosigkeit, desto kleiner die Rente. Da können sich die Frauen drauf freuen. Bonbons?

Dennoch beschert uns diese Rentenreform Bonbons, wenn auch nur winzige. In Zukunft sollen Müttern wie Vätern drei Erziehungsjahre pro Kind angerechnet werden. Das gilt allerdings erst für die Geburten nach 1991. (Im ersten Entwurf sollte es ab 1985 losgehen.) Die Kindererziehungsjahre sollen ebenso wie Ausbildungszeiten mit 75 Prozent der Durchschnittsbeiträge bewertet werden. Außerdem erhöht sich die Anrechnung der Kindererziehungszeiten von fünf auf zehn Jahre. Die Lebensarbeitszeit, im ursprünglichen Entwurf einer der umstrittensten Punkte, wird nicht wie geplant schon 1995 auf 65 Jahre erhöht. Diese Ungerechtigkeit, die ausschließlich Frauen betroffen hatte, wurde ins Jahr 2012 verlegt. Und was dann passiert, so meint jedenfalls die SPD-Frau Otti Stein, sei ganz und gar von der Arbeitsmarktlage abhängig. Wie im Übrigen auch jede zukünftige Reform, die die gerade errungene außer Kraft setzen könnte.