Töpfers Brüter-Weisung wackelt

Der Bundesreaktorminister stützt das „Tschernobyl-Prüfverbot“ gegen seinen Düsseldorfer Widersacher Jochimsen auf eine schmalbrüstige Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission / Kritiker-Analyse nennt das Papier der RSK „falsch und irreführend“ / Bisher unveröffentlichte Studien liegen der taz vor  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Kann der Schnelle Brüter in Kalkar schon deshalb niemals angeknipst werden, weil die Betreiber-These von der Beherrschbarkeit eines schweren Unfalls im Höllenfeuer von Tschernobyl mit verglüht ist? Nein, behauptet der Bundesreaktorminister in Bonn, beides habe nicht das geringste miteinander zu tun. Die Frage muß im einzelnen überprüft werden, beharrt dagegen Töpfers nordrhein-westfälischer Brüter-Widersacher Reimut Jochimsen. Als Herr des Genehmigungsverfahrens für das fast fertiggestellte Sieben-Milliarden-Projekt am Niederrhein will der NRW-Wirtschaftsminister seit bald zwei Jahren wissenschaftlich überprüfen lassen, ob die seit Jahrzehnten hin- und hergewälzte „Sicherheitsphilosophie“ für den Brutreaktor nach Kenntnis des Unfallhergangs von Tschernobyl noch trägt.

Der Bundesreaktorminister wehrt sich mit Händen und Füßen gegen eine solche Überprüfung und griff Anfang Mai vergangenen Jahres - ein Novum in der bundesdeutschen Atomgeschichte - sogar zur Waffe einer sogenannten „verfahrensleitenden Bundesweisung“, um seinen Düsseldorfer Widersacher zum Verzicht auf das Gutachten zu zwingen. Gegen das „Prüfverbot“ aus dem Hause Töpfer wehrt sich die Düsseldorfer Landesregierung bekanntlich mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Töpfer beruft sich bei seinen Nein zum Tschernobyl -Gutachten stets auf eine Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission (RSK) zum selben Thema. Das stramm atomfreundliche Beratergremium des Bundesreaktorministers unter seinem Vorsitzenden Adolf Birkhofer war zu dem Ergebnis gekommen, daß „ein Unfall mit vergleichbaren Folgen wie in Tschernobyl beim SNR-300 auszuschließen“ sei. Außerdem erklärte die RSK unter Töpfers beifälligem Nicken, es bestehe „keine Veranlassung das Sicherheitskonzept des SNR-300 aufgrund des Unfalls in Tschernobyl in Frage zu stellen“. Mit Ausnahme dieses Schlußstatements hielten Bundesreaktorminister und RSK die Studie bis heute unter Verschluß. Sie sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, hieß es bei der RSK. Die Frage sei abschließend behandelt und damit erledigt, erfuhr der neugierige Frager im Bonner Umweltministerium.

Inzwischen verfügt die taz nicht nur über das RSK-Papier es handelt sich um eine Anlage zum „Ergebnisprotokoll der 220. RSK-Sitzung am 15. April 1987“ -, sondern auch über eine Antwort des Bremer „Forschungs- und Informationsbüros“, das seit vielen Jahren auf Seiten der Brüter-Gegner, später zeitweise auch für die Düsseldorfer Landesregierung in Sachen Brüter gutachterlich tätig ist. Auf 36 Seiten nehmen die Bremer Brüter-Kritiker um den Diplom-Physiker Richard Donderer den RSK-Persilschein auseinander. Pikant an der Stellungnahme: Sie stammt von jenen Wissenschaftlern, die einen zentralen Teil der von NRW-Minister Jochimsen ins Auge gefaßten Studie anfertigen sollten.

Die Bremer Kritiker werfen der RSK insbesondere vor, die mit der Kenntnis des Unfalls von Tschernobyl verbundene „Gelegenheit“ für eine Neubewertung der Brütersicherheit nicht genutzt zu haben. Der sowjetische Reaktor sei durch einen sogenannten „Exkursionsunfall“ zerstört worden, der auch beim Brüter unter dem Namen „Bethe-Tait-Störfall“ im Zentrum aller Sicherheitsanalysen stehe. Im Verlauf eines solchen „Exkursionsunfalls“ steigt die atomare Kettenreaktion plötzlich lawinenartig und unbeherrschbar an. Die damit verbundene Hitzeentwicklung und mechanische Belastung zerstört den Reaktor. Der Unfall in der Ukraine gibt den Sicherheitsforschern, argumentieren die Bremer Brüter-Experten, „zum ersten Mal in der Geschichte der Reaktorentwicklung“ die Gelegenheit, bisher rein theoretische Modellrechnungen anhand der Realität zu überprüfen. „Solch eine Prüfung ist von der RSK auch nicht im Ansatz vorgenommen worden“, klagen die RSK-Kritiker.

Die Darstellung in der RSK-Stellungnahme sei in weiten Teilen „falsch und irreführend“, heißt es in der Analyse weiter, und falle sogar hinter Erkenntnisse zurück, die die mit der RSK eng verflochtene „Gesellschaft für Reaktorsicherheit“ (GRS) im Verlauf des Brüter -Genehmigungsverfahrens bereits vor Jahren gewonnen habe. Der größte Lapsus unterlief danach der RSK, indem sie nachweislich falsche Grundannahmen über den Auslöser eines Bethe-Tait-Störfalls zum Ausgangspunkt ihrer vergleichenden Überlegungen macht und damit, wie ihre Kritiker betonen, „zu physikalisch unsinnigen Schlußfolgerungen“ kommt. So geht die RSK fälschlicherweise davon aus, daß ein schwerer Unfall beim Brüter durch eine sogenannte „prompte Leistungsschwingung“ (also ein plötzliches unkontrolliertes Anwachsen der Kettenreaktion) bei ansonsten intaktem Reaktorkern eingeleitet werde. Derartige Leistungsexkursionen würden nach Erreichen eines „maximalen Leistungswertes“ aufgrund der im Brüter-Kern herrschenden physikalischen Bedingungen jedoch sicher „abgefangen“, beruhigt die RSK. Aber weder beim Durchbrennen des Tschernobyl-Reaktors noch bei den im Brüter -Genehmigungsverfahren berechneten Unfallszenarien bilden „Leistungsschwingungen“ in einem sonst intakten Reaktor den Ausgangspunkt. Erst wenn die Brennstäbe im Kern in Bewegung geraten, kann es zu der befürchteten explosionsartigen Kettenreaktion kommen. Kurz: Die RSK arbeitet wissentlich oder unwissentlich mit relativ harmlosen Modellen und kommt zu entsprechend harmlosen Ergebnissen. Oder in den Worten der Bremer RSK-Kritiker: „Ein Vergleich des Exkursionsverhaltens ohne eine detaillierte Betrachtung der Schlüsselphänomene, wie dies die RSK versucht, ist sinnlos.“

Fazit der Analyse: Mit der Stellungnahme der RSK kann der Bundesumweltminister sein in der Bundesweisung enthaltenes „Begutachtungsverbot fachlich nicht begründen“. Das „Prüfverbot entbehre daher einer seriösen, wissenschaftlich nachvollziehbaren Grundlage.“