Polen: Partei schlägt Verfassungsreform vor

■ Rakowski erklärt Abschied vom Machtmonopol der Partei Zäher Kampf um Beschränkung der Polizeiallmacht

Berlin/Warschau (dpa/afp/taz) - In die neu ausgebrochenen Streiks in Piotrkow Trybunalski, südwestlich von Warschau, in Ostrowiec Swietokrzyski sowie bei Katowice will sich die Regierung nach Aussage von Regierungssprecher Urban nicht einmischen. Sowohl Arbeiterführer Lech Walesa, als auch der Vorsitzende der offiziellen Gewerkschaften OPZZ, Alfred Miodowicz haben sich inzwischen gegen Streiks ausgesprochen, um die Verhandlungen am runden Tisch in Warschau nicht zu stören.

Nach Angaben aus Solidarnosc-Kreisen gehen die jüngsten Streiks auf das Konto der OPZZ. Am „runden Tisch“ in Warschau hat der Vertreter der Partei, Politbüromitglied Janusz Reykowski, vorgeschlagen, ein Präsidentenamt „als Hüter der Verfassung“ in derselben zu verankern. Nach Reykowskis Ansicht soll der Präsident von einem „um die Opposition erweiterten Parlament“ gewählt werden. Eine solche Institution setzt eine Verfassungsänderung voraus, da bisher der Staatspräsident aus dem Staatsrat hervorgeht. Sie impliziert auch, daß Staatschef Jaruzelski eine weitere Machtposition im Staat räumt. Reykowskis Vorschlag ist der jüngste Vorstoß in der bereits Monate dauernden Diskussion um eine umfassende Justiz- und Verfassungsreform. In diesem Zusammenhang stehen auch Forderungen, wie die Abschaffung der Todesstrafe, mehr Rechte für Strafverteidiger und Bildung einer zweiten Parlamentskammer.

Die Opposition am „runden Tisch“ stellt jedoch nun weitergehende Forderungen. So soll künftig ein unabhängiges Organ Richter berufen, die bisher noch vom Staatsrat ernannt werden. Das Innenministerium soll kontrollierbar gemacht werden. Die Vorschläge der Opposition rütteln faktisch an der Allmacht der Geheimpolizei und der Strafverfolgungsbehörden. Die Forderung der Opposition, die Ausgaben für Armee und Polizei um 20 Prozent zu senken. hat das Armeeblatt 'Zolnierz Wolnosci‘ (Soldat der Freiheit) inzwischen als „unrealistisch“ zurückgewiesen. Vertreter der Opposition bedauerten auch, daß es bei den Verhandlungen zu diesem Thema bisher keinen Fortschritt gebe.

In einem Interview mit 'Le Monde‘ äußerte sich Regierungschef Mieczyslaw Rakowski am Samstag zu den für Mai geplanten Wahlen: Die PVAP verzichte auf das Machtmonopol und stelle sich auf den Grundsatz des Wettkampfes mit anderen politischen Kräften. Das sei, so Rakowski weiter, ein sehr interessantes politisches Experiment, bei dem nicht einmal sicher sei, ob die PVAP diese Herausforderung bestehen werde. „Das ist ein historischer Prozeß, der von unserem Wollen unabhängig ist“, erklärte Rakowski mit Blick auf die Einführung eines Mehrparteiensystems.

kb