Grüne Punkte auf Rosa

Berliner Alternative Liste schwebt in Euphorie  ■ K O M M E N T A R E

Es war für viele eine Überraschung, daß sich die im bundesweiten Grünen-Spektrum als links geltende Alternative Liste plötzlich und scheinbar kopflos den Sozialdemokraten an den Hals wirft. Es ist gespenstisch und erinnert an Fatalismus, wenn 1.000 Leute ohne Willen und Wunsch zur Diskussion nahezu einstimmig eine politische Entscheidung solcher Tragweite treffen. Der Wunsch, nicht mehr am Rande zu stehen, nicht ein Leben lang Opposition zu sein, stand Pate, als die vielen AL-Mitglieder ihre Hand hoben. Der Ausweg der linken Midlife-crises heißt nicht Ausstieg, sondern Einstieg. Rein in die Regierung, und ran an die Fleischtöpfe.

In welche Zerreißprobe die Alternative Liste dadurch kommen wird, darüber wollte offenbar niemand laut nachdenken. Kaum jemandem ist klar, daß mit einem Parteiprogramm, an dessen liberalem Touch der Partei im letzten Sommer beinahe der linke Rand abgebrochen wäre, nicht regiert werden kann. Ja, daß es nicht einmal als Grundlage für Verhandlungen taugt. Die AL wird in einem Bündnis mit der Sozialdemokratie bestenfalls die Rolle des ökologischen, sozialen und liberalen Gewissens spielen können. Grüne Punkte auf rosa Grund. Keine der originären AL-Forderungen ist mehrheitsfähig in der Stadt und damit durchsetzbar mit der SPD. Kein Grund, nicht zu koalieren - doch bitte sehenden Auges.

Ob die Zustimmung vom Wochenende tragfähig ist, wird sich erweisen, wenn sich nach den ersten Konflikten die fundamentalistischen Aktivisten nach Kreuzberg zurückziehen und die Realos im Rathaus eingeklemmt sind. Doch dann soll keiner sagen, das habe er nicht gewußt. Denn es steht mehr auf dem Spiel als das Überleben der Alternativen Liste. Hält die AL diesen Spagat nicht aus, sollte sie lieber heute als morgen wieder in die Opposition gehen. Wenn Rot-Grün in Berlin scheitert, klappt es zukünftig nirgendwo.

Brigitte Fehrle