Starke Analyse - Schwache Leistung

■ Ausländer-Politik erst „schrecklich danebengegangen“, dann „außer Sichtweite“ geraten / Wie Ausländer in Bremen von der Ziel- zur Randgruppe der Politik wurden / Interview mit Senatsdirektor Hans-Christoph Hoppensack

taz: Spätestens seit den Wahlerfolgen von Rechtsradikalen ist bei Bremer Sozialdemokraten häufiger wieder die Rede von einer aktiven Politik für Ausländer-Integration. Faktisch scheint sich in der Bremer Sozialpolitik der umgekehrte Trend durchzusetzen. Hat das Sozialressort Ausländer abgeschrieben, sie bei der Neuorgansiation der Sozialen Dienste schlicht vergessen?

Hoppensack: Natürlich haben wir das nicht getan. Bevor die NOSD in Kraft trat, also vor knapp Jahren, war es schon allgemeine Einschätzung, bis auf ein paar Versprengte in der Behörde, deren Fähigkeiten sowieso nicht besonders hoch entwickelt waren - es gab da mal einen Leiter, der es innerhalb von zwei Jahren geschafft hat, den ganzen Laden durcheinander zu bringen, bis wir ihn aus dem Verkehr gezogen haben -, daß der Ansatz, Extra-Sozialarbeiter mit Ausländerproblemen zu befassen, schrecklich danebengegangen ist. Die Leute, die das gemacht haben haben nie dazu beigetragen, daß Ausländern flächendeckend zu ihrem Recht verholfen wird. Das ist das, was ich in meinem Vermerk salopp als „Lustprinzip“ bezeichnet habe. (vgl. taz vom 13.2.89)

Immerhin haben diese Leute dazu beigetragen, daß seit 1979 immer wieder dicke Konzeptions-Papiere zur Auskländerpolitik entstanden sind, die bis heute offiziell Grundlage für die Ausländerpolitik von SPD uns Senat sind.

Dieses Ausländerkonzept ist nicht das Ergebnis einer breiten Basisdiskussion und entspricht auch nicht den Erfahrungen der Basis. Das ist ein Konzept, das zwischen einzelnen senatori

schen Behörden entwickelt worden ist, das der Senat auch verabschiedet hat und dessen Umsetzung auch aus meiner Sicht notleidend geworden ist. Da gibt es mit Sicherheit in vielen Bereichen Defizite.

Auf exakt diese, z.T zehn Jahre alten Papiere, die Sie jetzt so tief hängen, beziehen sich SPD-Abgeordnete bis heute als verbindliche Grundlage. Nur sagen sie, die Umsetzung sei „ins Stocken geraten“. Von ursprünglich geforderten 19,5 Stellen ist keine geschaffen worden, im Gegenteil: Stellen sind nicht wiederbesetzt worden. Die neuorganisierten Sozialen Dienste kennen die Zielgruppe „Ausländer“ überhaupt nicht mehr.

Das ist was dran. Aber da steht auch ein Verständnis dahinter, das ich für falsch halte. Das lautet: Wenn es mehr Ausländerspezialisten gäbe, ginge es den Ausländern besser. Was haben denn diese Ausländerspezialisten, die wir früher gehabt haben, z.B. für ausländische Familien mit Kindern getan. In der Regel nichts. Sie haben allenfalls eine Kampagne organisiert mit Flugblättern, dann schlief das ein. Viel mehr kann man mit ein paar Hanseln ja auch nicht tun. Heute haben wie mit der NOSD ein integratives Konzept, in dem sich verschiedene Leute kümmern, was man für diese Familien tun kann....

Sich „nebenher“ kümmern! Heißt das, die NOSD hat Leute, die sich speziell um Ausländerprobleme kümmern, überflüssig gemacht?

Das ist ja das Grundprinzip der NOSD. Menschen haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse, ein alter Ausländer andere als ein ausländisches Kind. Das NOSD-Prinzip setzt darauf, Bedürfnisse

da zu erreichen, wo sie sind. Und das funktioniert auch.

Wenn das alles so prima klappt - warum schreiben Sie dann einen Vermerk, in dem Sie sich beklagen, daß die Behörde noch nicht mal weiß, welchen Bedarf Ausländer z.B. an Kindergartenplätzen, Ausbildungsmaßnahmen haben?

Ich bestreite ja nicht, daß es Defizite gibt. Es gibt natürlich Beispiele, daß was durch die Ritzen fällt, wenn man nicht ständig die Bedarfe im Auge hat.

Soweit ich weiß, sind alle Konzepte zur Bremer Ausländerpolitik über Ihren Schreibtisch gelaufen. Wie können Sie sich nach 10 Jahren verdattert hinstellen und einen Vermerk schreiben, daß es in der Ausländerpolitik personell und konzeptionell dicke Probleme gibt. Haben Sie 10 Jahre geschlafen oder haben Sie Ihre Meinung geändert?

Das ist doch absurd. Die Sozialbehörde ist mit Problemen vollgeschüttet. Daß in der Vielzahl der Aufgaben einzelne mal außer Sichtweite geraten können, das ist das Leben.

Was ist denn seit Ihrem Vermerk geschehen, damit in Zukunft nichts mehr außer Sichtweite gerät und durch die Ritzen fällt? Sind Stellen besetzt worden?

Zunächst einmal ist es ja so, daß jede Aufgabe sozialer Dienste einer tendenziellen Grenzenlosigkeit unterliegt. Wieviel Sie auch machen, Sie können immer noch etwas finden, was Sie zusätzlich machen könnten. Meine Behauptung ist, daß wir mit unserer personellen Austattung sehr wohl auf die Interessen von Ausländer achten können und auch für ihre Umsetzung sorgen können. Daß bestimmte Mitarbeiter vielleicht der Meinung sind, sie würden sich am

liebsten den ganzen Tag um Ausländerprobleme kümmern, weil sie das früher gemacht haben und das auch sehr viel einfacher, ist zunächst mal deren Problem.

Das ist wieder die These: Im Grunde gibt es keine Defizite. Wenn es doch welche gibt, liegt das am „Lustprinzip“ der Mitarbeiter. Kann es nicht sein, daß die Leute einfach das tun wollen, was sie auch sollen und Politiker von ihnen fordern: Mehr für die Integration von Ausländern arbeiten - nicht nur, damit Ausländer pünktlich Sozialhilfe beziehen, sondern als Beitrag zur politischen Kultur in dieser Stadt

Daß man in diese Richtung arbeiten muß, ist richtig. Aber ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß man selbst mit der doppelten oder dreifachen Personal-Ausstattung diese Probleme nur im Ansatz lösen kann. Es kann immer nur

darum gehen, Leuten, die es besonders nötig haben, hilfreich zu sein.

Heißt das, daß die bisherigen Konzepte zur Ausländerpolitik neu geschrieben werden müssen?

Ich denke schon. Auch wenn vieles daran nach wie vor in Ordnung ist, liegen die Probleme darin, daß sie so nicht umsetzbar sind. Mit ihnen ist punktuell und symbolhaft Ausländerpolitik betrieben worden, aber diese Leute können nicht für sich in Anspruch nehmen flächendeckend für Aisländer irgendwas Sinnreiches in Gang gesetzt zu haben. Es finden sich in der Sozialarbeit ja immer ganz schnell Leute, die Probleme richtig benennen, aber es gibt nur ganz wenige, die es dann auch tatsächlich machen. Stark in der Analyse, schwächer in der Leistung.

Fragen: Klaus Schloesser