"An der AL hängt das Schicksal der Bundesgrünen"

■ Streitgespräch zwischen Joschka Fischer,Fraktionsvorsitzender der Grünen in Hessen,Harald Wolf,Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der AL,und Bernd Köppl,zukünftiger AL-Abgeordneter

taz: In Berlin wird immer von den Fehlern von Hessen gesprochen, die man in Berlin bei Rot-Grün vermeiden will. Was ist damit gemeint?

Bernd Köppl: Nach meiner Meinung sind die Grünen in Hessen zu einem Kotau gezwungen worden. Sie haben es nicht geschafft, die Einheit der Grünen in Hessen aufrechtzuerhalten. Das war unserer Meinung nach die Konsequenz aus diesem Kotau. Deshalb sind sie mit einer gespaltenen Partei in die Bündnisebene reingegangen sind.

Worin bestand denn dieser Kotau?

Köppl: Startbahn West zum Beispiel. Da mußte eine existenzielle Forderung der gesamten Bewegung und der Grünen aufgegeben werden. Wir versuchen - und das ist der Unterschied, egal an welcher Frage -, nicht in eine ähnliche Situation zu geraten und mit einer gespaltenen Partei in ein Bündnis zu gehen.

Joschka Fischer: Zur Spaltung der Partei: Gerade wenn du die Startbahn West ansprichst, ist diese Behauptung nachgerade grotesk. Es war der Vorschlag von uns zu sagen, nach der Startbahn-Wahl 1982 ein Moratorium, eine Amnestie zu fordern. Dadurch hätten wir die SPD in enorme Schwierigkeiten bringen können. Die Fundis lachten uns aus, und wir wurden niedergestimmt, mit dem Argument, es müsse über das ganze Programm verhandelt werden. Konsequenz daraus war, daß aus der letzten Möglichkeit, aus der Startbahn etwas herauszuholen, nichts wurde. Ein Jahr danach taumelten wir in eine Tolerierung hinein. Nachdem die Fundis es geschafft haben, uns von 8 auf 5,9% nach einer Neuwahl runterzubringen. Zum Thema Spaltung der Partei in Hessen: Da kann ich euch nur sagen: Seid froh, daß ihr diesen Konflikt nicht hattet. Außerdem: Wir hatten die ganze Bundespartei gegen uns und in Hessen die Situation der Öffnung. Anders als die Hamburger haben wir unsere Mehrheit nicht verspielt. Wir haben unsere Seele nicht verkauft, sind in der Atomfrage nicht eingeknickt. Du findest kaum ein Land, in der die Atompolitik noch heute aus der Opposition heraus von den Grünen so mitbestimmt wird wie in Hessen. An der Atompolitik der SPD ist die Koalition dann gescheitert. Unsere Wahlergebnisse sind im Gegensatz zur GAL hervorragend. Der Landesverband ist nicht desolat. Wenn diese schmerzvolle Realität Wallmann und die schwarze Wende in Hessen nicht wäre, dann wäre ich hoch zufrieden.

Was ergibt sich aus einer selbstkritischen Einschätzung von Hessen für Berlin?

Fischer: Da kann ich aus subjektiver Erfahrung nur davor warnen, Illusionen zu verkaufen. Man muß der eigenen Basis an dem Punkt klipp und klar sagen, für wie tragfähig man das realistischerweise hält in den einzelnen Sachpunkten. In Berlin stellt sich die Atomfrage ja in dem Sinne nicht. Ich glaube aber, auf euch kommen sehr schwierige innenpolitische Situationen zu. Angesichts der Konstellation in der Stadt, die ihr besser kennt als ich. Wir hatten diese Situation ja in Frankfurt, als Günter Sare von einem Wasserwerfer überfahren wurde. Wenn ich hier höre, jeder vierte bei der Polizei soll „Republikaner“ gewählt haben, dann ist alles gesagt. Darüber müßt ihr euch im klaren sein. Denn anders als Hessen, Kotau hin Kotau her, an der AL hängt jetzt ein Gutteil des Schicksals, mit den Bundesgrünen überhaupt eine linke Reformoption auch für die Bundesrepublik insgesamt hinzukriegen.

Harald Wolf: Meine Differenz zu Joschka in der Frage, was real durchsetzbar ist mit der SPD, wie sie existiert, ist sehr gering.

Fischer: Ein Widerspruch an diesem Punkt. Ihr habt die wirklich praktischen Erfolge hinter dem ideologischen Gedonnere in der Partei einfach nicht wahrgenommen. Das hessische Energiegesetz war auch in seiner Realisisierungsphase einmalig. Ihr würdet gut daran tun, wenn ihr an dieser Tradition anknüpfen würdet. Da wurde mit den bescheidenen Mitteln eines Landes und gegen die großen Strom-Monopole erstmals versucht, einen ganz anderen Energiepfad zu beschreiten. Das sucht bis auf den heutigen Tag seinesgleichen. Vergleiche, was wir in der Ausländerpolitik gemacht haben mit der Gegenwart, dann mußt Du feststellen: vielen Leuten wurde ganz konkret geholfen, die es jetzt unglaublich schwer haben.

Wolf: Auf der Ebene der Durchsetzung dessen, was ihr herausverhandelt habt, wird es mit der SPD hier auch nicht viel mehr sein. Mein Problem setzt bei den eingebauten Sollbruchstellen innerhalb des Bündnisses an. Zweitens wurde bei den hessischen Grünen der Fehler gemacht - und das schimmerte bei deiner Argumentation eben auch wieder durch die entscheidenden Erfolge die es gegeben hat, in der Tendenz und in der Argumentation als Verwirklichung grüner Politik zu feiern. Zum Schluß steigerte sich das ja dahin und das war am Ende ja auch das Problem mit dem Mülltourismus - zu proklamieren: Dieses ist unser Müll. In einer Situation zu sein, in der man bestimmte Politiken, die man objektiv mit der SPD nicht durchsetzen konnte, dann auch noch glaubt legitimieren zu müssen, auch gegenüber der eigenen Basis.

Fischer: Zum Stichwort Mülltourismus. Niemand von uns hat den gerechtfertigt. Gerade der grüne Minister wußte immer sehr genau, daß er da für eine strukturelles Defizit, das er nicht zu verantworten hat und das auch die Grünen nicht zu verantworten haben, die Rübe hinhalten mußte und zu Recht geprügelt wurde. Da nimmt man auch eine Stellvertreterrolle wahr. Aber unser Abfallgesetz war eine der ganz großen Innovationen in einem Flächenstaat, das jetzt zurückentwickelt wird und wo die Müllexportquoten sich unter der schwarzen Regierung vervielfacht haben, obwohl die angekündigt hatte, das Gegenteil zu tun.

Wolf: Nichtsdestotrotz seid ihr in einer Situation gewesen, nach einem Standort einer Deponie suchen zu müssen, ohne das Problem der Müllvermeidung wirklich ernsthaft angehen zu können.

Fischer: Das wird der AL-Umweltsenator noch feststellen, daß die Müllvermeidung, weil sie letztendlich eine Wirtschaftsfrage ist, im Bundesabfallgesetz beim Bund liegt, und Herr Töpfer denkt einen Teufel daran, das zu ändern, was bedeutet, daß die Beseitigungspflichtigen unter einer Müllawine zu ertrinken drohen.

Zugespitzt auf die Verhandlungssituation. Du, Harald Wolf, machst eine Differenz bei den Verhandlungen zwischen Durchsetzung von Forderungen - und die Forderungskataloge sind ja endlos - und der Idee einer rot-grünen Koalition, wo die AL Juniorpartner ist. Und wo man nicht nur sagen kann, es ist nur ein Teil durchsetzbar, sondern auch sagen muß, welches allgemeine Ziel eine solche Regierung unter den herrschenden politischen Bedingungen verfolgt.

Wolf: Bei uns ist in der Diskusion zu sagen, es gibt bestimmte langfristige Ziele der AL, eine demokratischere, autofreie Stadt beispielsweise. Aber gleichzeitig ist nur denkbar, daß minimale erste Schritte in diese Richtung mit der SPD realisierbar sind. Das muß man erst einmal reflektieren. Alle, die davon ausgehen, daß man an irgendeinem Punkt wirklich einen essentiellen Durchbruch in Richtung grüner Vorstellungen erzielen kann, gehen meiner Ansicht nach mit illusorischen Vorstellungen in diese Verhandlungen.

Köppl: Der wesentliche Unterschied zu Hessen ist zum einen: Wir sind mit einer SPD konfrontiert, die nicht aus der Regierungsverantwortung kommt. Vor acht Jahren wären wir in einer ähnlichen Situation gewesen wie ihr in Hessen, mit einer quasi korrupten und verfilzten Betonpartei. Heute ist das ein ganz entscheidender Unterschied, der an zwei Punkten deutlich wird. Die SPD hat sich programmatisch in der Oppositionszeit sehr verändert. Es gibt heute eine wesentlich größere politische Schnittmenge zwischen AL und SPD, als es sie jemals vorher gegeben hat. Zweitens gibt es die negativen Erfahrungen aus den gescheiterten Tolerierungsverhandlungen zwischen GAL und SPD in Hamburg. Es ist ein Vorteil, daß diese Erfahrungen vorliegen. Sonst würden wir warscheinlich noch einmal in die Hamburger Situation geraten.

Verdichten sich die größer gewordenen Schnittflächen mit der SPD zu so etwas wie Essentials?

Köppl: Es gibt von der AL keine Essentials. Aber es gibt sozusagen Punkte, die im Gesamtkomplex durchgesetzt werden müssen. Es ist nicht so, daß wir sagen, wenn eins davon fehlt machen wir keine Koalition. Aber die Gesamtmenge bezieht sich auf den ökologischen Stadtumbau. Wirkliche Sanierungsschritte einzuleiten im Bereich ökologischer Politik. Das betrifft Abwasser, Luftreinhaltung, Verkehr als zentrale Punkte. Dann gibt es eine Schnittmenge in den Fragen der Demokratisierung. Das Ausländerwahlrecht auf komunalpolitischer Ebene ist unabdingbar. Und wir werden das auch durchsetzen. In wichtigen anderen Bereichen, wie Frauenpolitik, gibt es auch Punkte, die wir durchsetzen wollen. Das betrifft die Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen antidiskriminierende Elemente in die Verwaltungsebene einbauen, wir wollen eine breite Frauenforschung an der Universität etablieren. Der Selbstbedienungsladen bezüglich der Diäten und Wahlkampfkostenpauschale muß aufhören. Das muß auch als Signal nach außen deutlich werden. In der AL gibt es jetzt eine Debatte darüber, ob das noch AL-Politik ist. Ich bin der Meinung, auch wenn das heute schon im SPD -Programm drinsteht, daß es eine originäre Forderung der AL ist, zum Beispiel das Ausländerwahlrecht einzuführen. Das geht nur mit uns. Keine andere Partei setzt das in Berlin durch.

Fischer: Ich sehe das ähnlich. Bei der SPD hat sich ein Themen- und Generationenwechsel vollzogen und vollzieht sich. Wie sich das praktisch auswirkt, wie weit der Mut der Sozialdemokraten reicht, das werdet ihr ja ausprobieren. Zweitens: Die Haltung, die ich unterschwellig bei euch spüre, die finde ich falsch. Es war immer ein Fehler der Fundis, grüne Politik, dort, wo sie in die Regierung reingeht, unter kurzfristigen Erfolgsdruck zu stellen. Politisch strategisch geht es darum, ob es gelingt, aus einer Zufallsmehrheit - insofern genau dieselbe Situation wie in Hessen - das nächste Mal eine gewollte politische Reformoption zu machen. Daran sind wir in Hessen gescheitert. Ich kann euch nur davor warnen, auf der einen Seite jetzt diese kleinen Dinge zu unterschätzen und auch nicht die Geduld zu haben, so etwas wie eine ordentliche Verwaltung hinzubekommen. Das Chaos bricht nicht aus, es geht humaner zu, es geht weltoffener zu, Minderheiten sind geschützt, es gibt mehr Gleichstellungsmöglichkeiten. Wenn ihr da nach vier Jahren erfolgreich mit rauskommt, habt ihr die Grundlage geschaffen um wirklich einmal an strukturellere Fragen Berlins herangehen zu können. Denn dazu braucht ihr ein klares Wahlbekenntnis, ein klares Mandat für eine rot-grüne Option. Und die gibt es bis heute noch nirgendwo. Daran sind wir in Hessen damals gescheitert.

Im Grunde kann man sagen, die Essenz einer rot-grünen Regierungstätigkeit, wenn sie zustandekommt, ist in dieser Legislaturperiode eigentlich eine Personalpolitik plus einer Crew von cleveren Juristen, die in einer Grundsatzkommission eine Gesetzgebung entwickeln, in allen Bereichen langfristig vorarbeiten...

Fischer: Nein. Du hast kommunale und Landespolitik sehr beschränkt. Und kommunale Politik zeichnet sich durch ein hohes Maß an Konkretion aus, wo du täglich und sofort handeln mußt. Ich kann das für Berlin nicht näher spezifizieren, das könnt ihr besser. Ich bin sicher, die Aufgabe ist es, daß Rot-Grün eine gesellschaftsfähige mehrheitsfähige linksreformistische Option in der Bundesrepublik wird, ob in Berlin oder sonstwo. In den ersten vier Jahren werden eure Spielräume da nicht sehr groß sein.

Köppl: Das ist genau die Frage.

Fischer: Das wird ein Kampf ums Überleben.

Köppl: Es ist uns klar, daß die langfristige Ebene eine ganz große Bedeutung hat, die wir nicht ausspielen dürfen gegen unmittelbar kurzfristige Erfolge. Was auch klar sein muß: Wir müssen das, was langfristig sich in Rot-Grün bewußtseinsmäßig verändert, das müssen wir unterfüttern in den Punkten, wo wir gesellschaftspolitisch heute schon in Einzelfragen die Mehrheit repräsentieren. Zum Beispiel in der Verkehrspolitik. Da steuert die Stadt auf den Selbstmord zu. Wir vergiften uns selbst, und es nimmt Verhältnisse an wie in Los Angeles. Wenn das so weitergeht, müssen neue Schneisen in die Stadt geschlagen werden. Das ist für uns inakzeptabel. An dem Punkt Verkehrspolitik muß auch kurzfristig eine Veränderung erfolgen. Ich sehe die Bereitschaft bei der SPD, solche Sachen anzupacken. Etwa mit der Umweltkarte, Inbetriebnahme der S-Bahn, eine wirkliche Zurückdrängung des Individualverkehrs. Wir brauchen die langfristige Perspektive, müssen sie aber an einigen unmittelbaren Punkten auch schon in diesen vier Jahren durchsetzen.

Fischer: O.K., das hoffe ich für Frankfurt genauso.

Gibt es Beispiele in eurer Koalitionsdiskussion, wo man das Verhältnis kurzfristig und langfristig einmal definieren kann?

Wolf: Gerade an der Verkehrspolitik kann man das deutlich machen. Da geht es darum, mit der SPD ein Programm zu machen, das in die Richtung geht, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen und den Autoverkehr einzuschränken bzw. zurückzudrängen. Das sind konkrete Schritte, die die Akzeptanz und weitere Schritte in Richtung einer autofreien Stadt möglich macht. Wenn Rot-Grün wieder scheitert, dann ist die Option für 1990 wieder auf Jahre hinaus endgültig tot. Es gibt Schnittmengen mit der SPD, aber es wird unheimlich viel Scheiße weiterlaufen. Der Erfolgsdruck, der kommt nicht nur von den Fundis. Gerade in so einer Stadt wie Berlin, die hochpolitisiert ist, gibt es eine unglaubliche Menge von Punkten, wo es auch ungewollte Sollbruchstellen gibt. Etwa Hausbesetzungen, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich sehe das Problem in der Form: Wenn wir sehr schnell eine Koalition zusammenschustern, wird das ein ausgesprochen labiles Bündnis, auch wenn es formal sehr eng oder zuverlässig aussieht. Ich halte das für eine große Gefahr, die man auch den Sozialdemokraten klarmachen muß.

Fischer: Heißt das Tolerierung?

Das ist das alte Links-Rechts-Schema, klassische Volksfront-Politik, wo bleibt da der originäre grüne Politikansatz?

Wolf: Das mit der Volksfront dementiere ich entschieden..

Joschka, mich interessiert auch, ob Du denn jetzt glaubst, die AL sei über Nacht eine hessische Realo-Partei geworden.

Fischer: Dazu kenne ich die AL wirklich zu wenig. Ich glaube auch nicht, daß man sich innerhalb so kurzer Zeit so ändern kann. Die Situation hat sich geändert. So war es auch in Hessen. Wir wurden durch die Situation mehrheitsfähig und Ditfurth, Zieran haben dadurch ihre Mehrheit unwiderruflich in der Partei verloren und nicht umgekehrt. Zur Frage der Tolerierung. Wir haben ja beides durchexerziert. Du wirst dieselben Probleme bekommen auf der Negativseite bei den ungewollten Sollbruchstellen, wie wenn du koalierst. Und du wirst dieselbe Problematik haben, wenn du brichst und denen die Mehrheit entziehst und in Neuwahlen taumelst. Ich warne sogar davor, aufgrund der hessischen Erfahrungen. Das, was du der SPD an Politikinnovationen aufdrückst, verkaufen die dann als SPD-Politik. Wenn Du in die Tolerierung gehst, dann wirst Du immer nur der Depp sein, der bezahlt. Wenn, dann plädiere ich unbedingt für eine Koalition, wo die Grünen selbst darstellen können, ob sie tatsächlich ihre Inhalte durchzusetzen vermögen oder nicht. Die Sollbruchstellen ändern sich dadurch überhaupt nicht.

Köppl: Im Prinzip stimme ich dem zu. Die Parlamentskritik hat ja auch einen Inhalt, der sagt, daß das Parlament ohnmächtig ist gegen die voranschreitende Verwaltung und die Regierung. Wir säßen auch vor dem Hintergrund dieser Kritik automatisch am kürzeren Hebel, wenn wir als kleine Parlamentsfraktion mit geringer Ausstattung einem voranschreitenden Regierungsapparat, der dann ausschließlich sozialdemokratisch bestimmt ist, ausgesetzt sind. Das halte ich für völlig unattraktiv. Ich halte es auch für fragwürdig zu sagen: Bei höherer Übereinstimmung Koalition, bei niedrigerer Tolerierung. Das könnte man doch genausogut umgekehrt sehen und sagen, wenn wir wenig durchkriegen, dann müßten wir mit einer Mannschaft in die Regierung, um über Personen die Politik unmittelbar beeinflussen, und viel stärker nach außen wirken, als wir das in Form der Parlamentsfraktion ausschließlich machen. Mein Ziel ist es, die Alternative Liste vor die Alternative zu stellen, ob das Gesamtprojekt trägt, ob wir das Gesamtprojekt von der AL aus verantworten können. Können wir es nicht verantworten, bleiben wir in der Opposition.

Wolf: Wenn du dich immer abgrenzt von Hessen, dann kannst du jetzt nicht sagen, wir machen im Wesentlichen nur sozialdemokratische Politik mit ein paar grünen Tupferln, und dann setzen wir das mit grünem Personal um und verkaufen es als grüne Politik. Das mag vielleicht publicityträchtig sein, aber politisch ist das nicht sauber. Zu Joschka: Du mußt dir doch einmal die Frage stellen, was der Grund dafür ist, weshalb Rot-Grün nicht bestätigt wurde bei Neuwahlen und warum die SPD massive Stimmenverluste hin zur CDU hatte. Zum Teil finde ich es sogar notwendig, daß die SPD in der Lage ist, die Politik, die gemacht wird, auch als die ihre zu verkaufen. Das müssen wir in Kauf nehmen. Wir müssen gleichzeitig der Faktor sein, als AL der weitertreibende Forderungen aufstellt, der weitere Perspektiven aufzeigt. Die SPD muß in dieser Kooperation auch die Möglichkeit haben, als bremsender Faktor aufzutreten. Anders kann das überhaupt nicht funktionieren. Anders wird die gesellschaftliche Akzeptanz für Rot-Grün nicht hergestellt werden können.

Fischer: Du erinnerst mich an die uralte Frage, die es in 2.000 Jahren nur einmal gelang zu lösen, wie man nämlich ein Kind bekommen kann, ohne schwanger zu werden. Das wird nicht hinhauen. Mit Hessen, das ist ganz einfach zu erklären. Den Koalitionsbruch, den hat bei der SPD eigentlich niemand verstanden. Für uns bleibt festzuhalten, daß wir das Startbahnergebnis übertroffen haben. Die SPD hat nach zwei Seiten verloren. Erstens da, wo die SPD Harakiri betrieben hat und uns eine Plutoniumsfabrik aufdrücken wollte, und zweitens mit der Einführung der flächendeckenden Förderstufe.

Köppl: Harald, ich glaube du hast ein sehr statisches Bild von Bewußtseinsbildung in der Bevölkerung. Wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist, und wir machen dann Rot-Grün, dann haben wir keine Chance. Wir müssen das anders angehen und Rot-Grün so anlegen, und in die Bevölkerung hineinwirken mit der Hoffnung, daß sich dort etwas ändert. Wir müssen neue Wählerschichten gewinnen. Im Bereich ökologischer Politik müssen wir einen großen Teil auch konservativer Wähler zu Rot-Grün rüberziehen.

Wolf: Ich bestehe heftig darauf, daß es für die AL auch darum geht - und das ist die Gesamtverantwortung - daß Rot -Grün auch bei den nächsten Wahlen eine Mehrheit bekommt.

Fischer: Deine Position ernst genommen, mußt Du in eine Koalition. Du kannst doch nicht aus einer Parlamentsfraktion heraus die SPD taktisch so einengen. Stell dir vor, Lafontaine wird Bundeskanzlerkandidat und drückt die Grünen in NRW unter die fünf Prozent. Das gleichen wir in Hessen nicht aus. Es wird bei euch auch darum gehen, die rot-grüne Schnittmenge bei den Wählern möglichst bei den Grünen anzusiedeln. Wenn ihr das allerdings so macht und sagt: SPD, mach das für uns, und wir werden weiterhin Kritiker von außen sein und auf der anderen Seite das im Parlament mehrheitsmäßig absichern, dann wird von Berlin maximal ein SPD-Impuls ausgehen, und das war es dann auch schon.

Interview: RiHe/KH/geo/mtm