Kuß der Gewalt

■ Jonathan Kaplan: Angeklagt

Es ist wie auf dem Fußballplatz. Die Männer schreien und toben. Ein Glas kippt um. Sie stehen auf den Stühlen und feuern an. Sie heben ihre Fäuste und schwingen ihre Hüften. Schweißnaß sind die Gesichter. Verzerrt. Mit einem lauten Schrei und verdrehtem Kopf kommt es dem einen. Der Nächste. „Halt sie fest“, „1, 2, 3, 4, stoß ihr die Muschi wund“. Es hört überhaupt nicht auf. Die Tasche fällt runter. Ihre Tasche. Es ist ein wahnsinniger Krach. Sie halten ihr den Mund zu.

Das Schreien der Frau vermischt sich mit dem Gebrüll eines Befriedigten. Sie stürzt aus der Kneipe.

„Accused“ (Angeklagt) ist ein Film über eine Vergewaltigung, über das Unrecht das über die Frau hereinbricht, wenn sie diese Vergewaltigung anzeigt und recht bekommen will. Kühl werden im Krankenhaus ihre Wunden betrachtet. Wann sie zum letzten Mal Geschlechtsverkehr hatte, will man wissen. Von vorneherein ist die Atmosphäre gespannt und feindlich.

Der Regisseur Jonathan Kaplan erspart uns am Anfang die Vergewaltigungsszene. Die Tatsachen sprechen für sich. Sarah Tobias, hervorragend von Jodie Foster gespielt, ist keine gute Zeugin. Sie trinkt mal ein Glas und zieht mal einen Joint durch. Lieber holt die Staatsanwältin (Kelly McGillis, genauso hervorragend) sie nicht vor Gericht. Läßt sich mit ihren Kollegen auf einen Deal ein. Die Anklage gegen die drei Männer lautet: schwere Körperverletzung. Ein paar Monate gibt es dafür. Kein Sexualdelikt, das sei die Bedingung, sonst würde überhaupt nichts zugegeben. Druck, den die Verteidiger auf die Staatsanwältin ausüben. Sie macht mit. Hat keine andere Wahl, denkt sie.

Aber dann kippt durch einen Zufall das Arrangement doch. Und die Staatsanwältin beginnt einen neuen Prozeß. Diesmal wegen Anstiftung zur Vergewaltigung.

Die Kamera beschränkt sich auf die Bewegungen in den Gesichtern, das Verzweifeln, über auch das Zweifeln, Fragen, die nicht ausgesprochen werden. Das Zittern des Mundes und die leise rauhe Stimme. Keinen Augenblick stellt der Film die Geschichte von Sarah in Frage, läßt sie sie aber auch nicht erzählen.

Warum nicht? Erst als die Chancen, den Prozeß zu gewinnen fifty-fifty stehen, die besten Chancen bislang, als ein Zeuge gefunden wird, der dabei war, aber nicht mitgemacht hat, erst dann erfährt auch die ZuschauerIn die ganze Wahrheit. Es war eine Sex-Show behaupten die Angeklagten. Einer lächelt zynisch und siegessicher. Sie fühlen sich immer noch absolut im Recht. Sarah kam mit Minirock und Top in die Kneipe. Sie war albern, sie hat geflirtet, es hat ihr gefallen, daß die Männer sie sexy fanden. Mit einem drückt sie sich ein bißchen herum. Am Flipper. „Sie flippt mit dem Arsch“, sagt eine Frau in der Kneipe. Jede Frau weiß was es heißt, ein bißchen zu spielen, zu testen, die eigene Wirkung auszuprobieren. Ein winziges Machtspiel um Zuneigung und sonst gar nichts.

Weil sie klein und zierlich ist, und der Kerl breit und kräftig, sind die Machtverhältnisse schnell geklärt. Sie sagt sie will nach Hause, er hält sie fest. Küßt sie. Im Gericht wird sie gefragt, warum sie nicht geschrien hätte. „Er hat mich geküßt“, antwortet sie. Der Kuß der Gewalt, immer wieder, bis sie auf dem Flipper liegt, bis sie alle über ihr sind, bis er ihr den Mund mit der Hand zuhält. Das sind die Grenzfälle, das sind die Fälle, wo viele sagen: Sie war doch selbst schuld. Der Film gibt eine klare Antwort. Ein Film für Männer.

Maria Neef-Uthoff

Jonathan Kaplan: Angeklagt, USA 1988, 110 Minuten, Kelly McGillis, Jodie Foster

14.2., Gloria Palast, 11.00 Uhr

14.2., Urania, 21.00 Uhr