Gentechnologie - systemimmanent und apologetisch

■ Zu „Gentechnologie als Beruf“ von Benno Müller-Hill, taz vom 1.2.89. Der Autor ist Professor für Pädagogik in Hamburg

Merkwürdig ist das schon: da druckt die taz eine Polemik von Müller-Hill auf einen kritischen Beitrag zur Gentechnologie nach, den die Leserinnen und Leser zuvor nicht in der taz selbst in Augenschein nehmen konnten. Die sogenannte Kritik der Kritik wird von vornherein bevorteilt. Denn über das, wogegen Müller-Hill sich wenden zu müssen glaubt, erfolgt nur eine Information aus zweiter Hand. Wenn das Schule macht, kann man auch künftig die Darstellung von Positionen immer gleich bei ihren Gegnern belassen. Die können dann damit machen, was sie wollen: z.B. ihre mangelnde Fähigkeit zur angemessenen Textrezeption austoben - in der Hoffnung, daß man ihnen nicht gleich auf die Schliche kommt.

Ich kann und will hier den Ausgangstext ( in „Perspektiven des demokratischen Sozialismus“ 2/88 ), dessen Verfasser ich bin und auf den Müller-Hill sich zu beziehen versucht, nicht rekapitulieren. Wer sich das Original anschaut, wird unschwer selbst sehen können, daß Müller-Hill es gründlich mißverstanden hat und mit ein paar zusammenhanglosen Zitatfetzen eine differenzierte Argumentation effektheischend verzerrt. Hier nur ein paar Anmerkungen zu Müller-Hills „Gegenposition“, die sich fortschrittlich, realistisch und ausgewogen gibt, aber bei näherem Hinsehen systemimmanent und apologetisch ist.

Dargestellt wird die Gentechnologie, wie in Werbebroschüren einschlägiger Konzerne, als eine alles in allem segensreiche Neuerung, deren wenigen Nachteile man mit gesetzlichen Auflagen und Verboten staatlicherseits beikommen könne. Zur Akzeptanz reichen offensichtlich Fatalismus, Glaube an die Gerechtigkeit der Marktwirtschaft und liberalistische Überzeugungen. Für die Schadensbegrenzung müssen religiöse Gebote, subjektivistische Forschermeinungen und Gutgläubigkeit gegenüber Verwertungsinteressen herhalten. Und auf positivistische Art wird eine Aufrechnung von Vor und Nachteilen anempfohlen, bei der jedoch von vorneherein klar ist, daß sie eine Fundamentalkritik nicht duldet.

Bei alledem abstrahiert Müller-Hill von den Querverbindungen zu anderen Entwicklungen im Bereich neuer Technologien, von den Verwicklungen der Gentechnologie mit Industrialismus und Kapitalismus und von den Implikationen keineswegs verallgemeinerbarer ethischer Prämissen. Zentrale Aspekte herrschender Vergesellschaftungslogik und Marktökonomie vernachlässigt er in idealistischer Manier total. Überdies ist er dem gefährlichen Glauben an die Lösbarkeit komplexer Probleme im Beziehungsgeflecht von Gesellschaft, Ökonomie und Ökologie durch isolierte Behandlung einzelner Variablen und Faktoren verfallen.

Seine „Argumentationslogik“ und seine „Handlungsperspektive“ geben nicht zuletzt dadurch unbedachtsam Errungenschaften der Aufklärung und Verantwortungsbewußtsein linker sozialer Bewegungen preis.

Worauf es aber derzeit u.a. vordringlich ankäme, wären doch wohl: innergesellschaftlicher Diskurs zur Konsensfindung über gesamtgesellschaftliche tragfähige Normen im Umgang mit der Gentechnologie als Element des modernisierten Industrialismus kapitalistischer Prägung; politisches Entscheidungshandeln, das nicht bloß ornamentale Folgenregulierung betreibt; Erarbeitung ganzheitlicher und ursachenorientierter Problemprophylaxen und -lösungen anstelle symptomfixierter Behandlung durch Einzeltechnologien.

Müller-Hills Ausführungen sind all dem gegenüber naiv und intellektuell weit weniger anspruchsvoll als neo -konservative Verteidigungsschriften zur Gentechnologie. Daß genau das aber nicht länger geht, haben spätestens die schmerzlichen Erfahrungen z.B. mit der Nutzung der Nukleartechnologie exemplarisch und symbolisch bedeutsam gelehrt. Auch im Umgang mit der Gentechnologie käme es heute darauf an, ihre Vorteile nicht euphorisch vorauszusetzen oder gegen den einen oder anderen marginalen Nachteil abzuwägen. Geboten ist eine Vergewisserung, ob der Preis der im Eintritt der keineswegs unwahrscheinlichen größten Risiken besteht - unter Gesichtspunkten demokratischer Sozial- und Rechtsstaatlichkeit gesellschaftlich wünschenswert und zumutbar oder auch nur zu bezahlen ist.

Bernhard Claußen