Eine gesamtdeutsche Schlittenfahrt

Die Eiskanalflitzer aus der DDR und der BRD dominierten bei den Rodel-Weltmeisterschaften im Sauerland  ■  Aus Winterberg T. Haselbauer

Der Ozonwinter beschert den Wintersportlern in Mitteleuropa schon seltsame Verhältnisse. Statt der gewohnten weißen Pracht dient den Athleten derzeit nur der sterbende Wald als traurige Kulisse. Wohl ergeht es der Kommune, die dank dem Einsatz von Wissenschaft, Technik und Politik in der Lage ist, eine Bob- und Rodelbahn anzusiedeln, die trotz frühlingshafter Temperaturen eine fast reibungslose Schlittenfahrt garantiert.

In der Kunsteisröhre des Sauerlanddorfes Winterberg, Austragungsort der Rodel-Weltmeisterschaften am letzten Wochenende ist das der Fall. Durch die 62 Kilometer Rohrleitungen im Beton wird, dem Funktionssystem eines Kühlschrankes nicht unähnlich, ständig gekühltes Ammoniak gepumpt. Den Strom liefern die Dreckschleudern der Vereinigten Elektrizitätswerke (VEW), denen die Tourismusbroschüre für diese Energieleistung ausdrücklich Lob zollt.

Energieleistungen ganz anderer Art demonstrierten die Rennrodelfahrer aus 22 Nationen den zahlreich angereisten Zaungästen an der Eisrinne. In den Genuß, das Siegertreppchen zu besteigen, kamen letztendlich die Sportler, die den Kopf unten behielten. Die Nase vorn hatten da die Deutschen, allen voran Georg Hackl. Der 22jährige Bundeswehrsoldat flitzte am Freitag so schnell durch den Eiskanal wie kein anderer vor oder nach ihm. Die Erfolgsformel lieferte der Schorsch aus Bayern gleich nach. Beim Rodeln gelte es, sich die zu bewältigende Strecke vor dem Rennen mental so einzuprägen, daß man sie blind hinuntersausen kann. Allerhöchstens fünfmal hob der Berchtesgadener sein Köpfchen, um sich kurz zu orientieren. Souverän gewann Georg Hackl die Weltmeisterschaft im Herreneinsitzer, Jens Müller auf einem DDR-Schlitten und Johannes Schettel aus Dortmund folgten ihm.

Für erfolgversprechende, aber weniger kopflastige Rahmenbedingungen sorgten andere Denker. Die Schirmherrschaft der Rodel-WM übernahm großzügig der Bundeskanzler persönlich, die musikalischen Klänge entlockte die Bundeswehr-Big Band ihren Instrumenten und dem anspruchsvolleren Gast trällerte Opernsänger Wewel, bekannt durch die Sendung Kein schöner Land Volkstümliches ins Ohr.

Auch Norbert Blüm ließ es sich erwartungsgemäß nicht nehmen, die Veranstaltung zu besuchen. Seine etwas vollmundige Ankündigung, eine Schlittenfahrt zu wagen, hielt er indes nicht. Der Sozialminister, sich sonst für nichts zu schade, war wohl trotz einer ihm zu unterstellenden privaten Krankenversicherung von den Eindrücken am zweiten Tag des Eisspektakels abgeschreckt.

Denn auf der „Autobahn“, wie die Winterberger Rodelstrecke geannt wird, ist Tempo 100 eher die Ausnahme. Bei Spitzengeschwindigkeiten wie denen eines Mittelklasseautomobils, die die Rodler auf die Kufen ihrer Schlitten Marke Eigenbau bringen, sind Stürze an der Tagesordnung. Die Herren-Doppelsitzer wissen davon ein Lied zu singen. Prominenteste Opfer der kurvenreichen Bahn waren diesmal der so sehr ambitionierte Hackl Schorsch, den alle so nett finden, und sein Sozius Stefan Ilsanker.

Der Nette und der Schwere

Aber der Nette und der Schwergewichtige flogen klassisch aus der Ideallinie und glitten auf den aerodynamischen Lackanzügen anstatt ins Ziel eiligst zum nächsten Interview. „Bahn frei“, um den Slogan des WM-Hauptsponsors, der Deutschen Bundesbahn, zu gebrauchen, für die Reichsbahner Krause/Behrendt und Hoffmann/Pietzsch aus der DDR. Dazwischen gesellte sich lediglich das Südtiroler Schlittenduett Huber/Raffe.

Die Damen führten ähnliches im Schilde. Susi Erdmann und Ute Oberhofner aus der DDR ließen allein Gerda Weißensteiner aus Bozen mit der Silbermedaille ein Wörtchen mitreden. In der erstmals ausgetragenen Mannschaftsweltmeisterschaft gewann jedoch das italienische Team die Krone, vor der DDR und den Sowjets. Die bundesdeutsche Rodeltruppe wurde am letzten Tag mit dem unglücklichen vierten Rang in die Leistungszentren heimgeschickt.

Daß es eigentlich sinnlos ist, Rodelleistungen zu quantifizieren, macht nichts deutlicher als die Zeitunterschiede. Eine schon neurotisch anmutende Zeitnahme, die sich nicht zu schade ist, in Tausendstel zu verfallen, war unzweifelhaft der wahre Gewinner der diesjährigen Rodel -Weltmeisterschaften. Der Vorsprung Susi Erdmanns vor Gerda Weißensteiner beispielsweise betrug in der Endabrechnung ganze sechs Tausendstelsekunden.

Die „Eddie the Eagles“ aus den Niederlanden, Sri Lanka und von den Jungferninseln lieferten sich ähnliche Zeitschlachten um die hinteren Ränge, wie die Topteams um die Spitze. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit allerdings, da sie dem spezifischen Reiz der Geschwindigkeit kaum Folge leisten konnten. Und die Startaufstellung ist leider so geartet, daß die „Exoten“ erst nach der Entscheidung um den Titel ihr Können aufblitzen lassen können. Der Gedanke an die Chance, daß der Kleine den Großen, der Unbekannte den Berühmten einmal besiegen könnte, macht zwar den Sport insgesamt interessant, die Startlisten beim Rodeln scheinen ein solches Vorhaben gerade verhindern zu wollen.