Sri Lanka: Gewehre gegen Stimmzettel

■ Vor den morgigen Wahlen haben singhalesische Nationalisten und „Tamil Tigers“ 1.100 Menschen umgebracht

Als Ende letzten Jahres die singhalesische Chauvinistenpartei JVP mit Bombenanschlägen in Badeorten drohte, wurden Tausende von Touristen evakuiert. Seitdem sind die Strände leer geblieben. JVP und auch die tamilische „Tiger„-Guerilla verleihen jetzt ihrer Aufforderung zum Wahlboykott mit Gewehrkugeln Nachdruck. Grund genug für die Bundesregierung, derzeit keine Flüchtlinge in das Land abzuschieben. Aber offenbar nicht Grund genug, um neue Asylsuchende ins Land zu lassen.

Die Gewalt muß und wird ein Ende haben“, hatte Ranasinghe Premadasa, das neue Staatsoberhaupt Sri Lankas, nach seinem knappen Wahlsieg im Dezember lautstark und überzeugend erklärt. Der Ausspruch war allerdings weniger als Prognose denn als Warnung gemeint - eine Warnung an die singhalesisch -radikale Partei „Janatha Vimukthi Permuna“ (JVP), die er für den bis dahin blutigsten Wahlkampf in der Geschichte der Inselrepublik verantwortlich machte.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl vom 19.Dezember hatte die Polizei binnen eines Monats fast 500 Morde registriert; Bombenanschläge, Drohungen und Einschüchterungsversuche der Wähler waren an der Tagesordnung.

Doch mittlerweile sind, kurz vor den morgigen Parlamentswahlen, bei denen sich der Präsident auch eine Mehrheit der Abgeordneten sichern will, neue Mordrekorde zu verzeichnen. Etwa 1.100 Menschen sind seit Anfang des Jahres kaltblütig ermordet worden, darunter bis zum Sonntag 14 der ursprünglich 1.396 Bewerber um einen der 225 Parlamentssitze.

Insgesamt sollen über tausend Tote auf das Konto der chauvinistischen JVP gehen, die gegen die Regierung, gegen den im Juli 1987 geschlossenen „indisch-srilankischen Vertrag“ (der der tamilischen Minderheit mehr Rechte einräumt) und die Stationierung von derzeit 50.000 indischen „Friedenssoldaten“ im Norden und Osten der Insel kämpft.

Gegen diesen Terror und das daraus resultierende ökonomische Chaos hat auch das neue 64jährige Staatsoberhaupt keine Mittel gefunden - es erging ihm nicht besser als seinem Vorgänger Jayawardene. Als eine der ersten Amtshandlungen hat er in der Hoffnung auf Beruhigung Mitte Januar die Notstandsregelungen, die seit sechs Jahren galten, außer Kraft gesetzt und politische Gefangene aus der Haft entlassen. Den Wahlkampf hatte er unter anderem mit dem Versprechen gewonnen, den Abzug der indischen Truppen sicherzustellen. Tatsächlich holte Indiens Premierminister Gandhi bisher 4.000 Mann aufs Festland zurück, 1.000 allein in der letzten Woche. Doch zur Beruhigung der radikalen Bevölkerungsteile auf beiden Seiten haben alle diese Schritte bisher nicht beigetragen.

Der jetzige Wahlkampf, nur zwei Monate nach den Präsidentschaftswahlen, verläuft abermals äußerst brutal. Die JVP hat im Süden zum Boykott der nach zwölf Jahren erstmals wieder stattfindenden Parlamentswahlen aufgerufen, eine „Ausgangssperre“ bis zum Tag nach den Wahlen verkündet und all denen Konsequenzen angedroht, die sich an der Wahl beteiligen. Und die „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) haben ihrerseits mit der Ermordung aller Kandidaten gedroht, die es wagen, sich in den mehrheitlich von Tamilen bewohnten Regionen des Landes für die Parlamentswahlen aufstellen zu lassen. Die LTTE scheue auch nicht davor zurück, die von indischen Soldaten bewachten Wahlbüros anzugreifen, erklärte jetzt der Führer des politischen LTTE-Flügels, Kandasamy, in Jaffna, der früheren Hochburg der „Tiger“ im Norden der Insel.

Die beiden aussichtsreichsten Parteien sind die regierende „Vereinigte Nationalpartei“ (UNP) von Präsident Premadasa und die „Sri Lanka Freiheitspartei“ (SLFP) von Frau Bandaranaike, die schon einmal Regierungschefin war und die am vorletzten Wochenende selber nur knapp einem Attentatsversuch entging.

Auch Politiker und Mitglieder der „Vereinigten Sozialistischen Allianz“ leiden unter dem Terror. Diese mehrheitlich von Singhalesen unterstützte Gruppierung hat ein Wahlbündnis mit der linksgerichteten tamilischen „Befreiungsfront Eelam“ geschlossen - einem Konkurrenten der „Tiger“, der jedoch anders als diese dem Konmpromiß einer autonomen tamilischen Provinz zugestimmt und an Wahlen zu deren Verwaltungsrat teilgenommen hatte. Dieses Bündnis mit der abtrünnigen Guerilla setzt nun die „Vereinigte Sozialistische Allianz“ den Angriffen der „Tiger“ aus: Vorletzte Woche wurde auch einer ihrer Kandidaten in Jaffna von Angehörigen der „Tiger“ erschossen. Zugleich ist die „Allianz“ dort, wo sie in singhalesischen Gebieten kandidiert, zur Zielscheibe der JVP-Gewalt geworden.

Das brutale Vorgehen der Streitkräfte, die „counter -insurgency“ (Aufstandsunterdrückung) sowie Aktivitäten von paramilitärischen Einheiten und Parteimilizen der Regierungspartei haben die Lage weiter verschlimmert. Und auch die Tatsache, daß die Regierung allen Kandidaten, die es wünschten - ungefähr 1.000 - je zwei Revolver und sechs Bodyguards mit Gewehren bezahlten. „Das ist eine Menge an Waffen, die zum Teil auch politisch Verwendung findet“, gibt ein Polizeioffizier zu, der es vorzieht, anonym zu bleiben.

„Wir wissen gar nicht mehr, wer wen und warum tötet“, sagt ein Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation. Täglich würden Dutzende junger Leute tot aufgefunden, die erschossen oder erstochen entlang der südlichen Küstenstraßen lägen. Der Rechtsanwalt Mahinda Rajapakse aus dem einstigen Touristenort Tangalla berichtet von 62 Leichen, die binnen weniger Tage so gefunden worden seien. Meist deute ein neben den Leichen plaziertes Bekennerschreiben auf eine neue dubiose Organisation: „Dies ist die gerechte Strafe für JVP -Mitglieder, gez. PRRA“, stünde auf einem Zettel. PRRA steht für „Revolutionäre Rote Volksarmee“, die erstmals Ende des letzten Jahres in Erscheinung trat. Politische Beobachter glauben, PRRA sei nichts anderes als eine Kreation der brutal vorgehenden „Spezialpolizeieinheit“.

„Sowohl die Tiger als auch die JVP werden auch nach der Wahl außerhalb des demokratischen Prozesses bleiben“, erklärt ein Universitätsprofessor in Colombo. Er befürchtet, daß die „Politik der Gewehrkugeln“ Sri Lankas Realität noch lange prägen wird.

Walter Keller/ ips