Öffnung

Zum Stand der Koalitionsverhandlungen  ■ K O M M E N T A R

Das Berliner Wunder ist in Sicht. Diepgen hat weitere Koalitionsverhandlungen abgesagt. Tatsächlich hatte er nichts mehr in der Hand. Nunmehr sind nur noch zwei Optionen verhandlungsfähig: Rot-Grün oder Neuwahlen. Die AL in die Verweigererecke zu drängen, wird der SPD kaum noch möglich sein, nachdem praktisch die alternative Basis geschlossen für die Koalition stimmte. Also geht es nicht mehr nur um die Kompromißfähigkeit der AL gegenüber der SPD, sondern auch um die der SPD gegenüber der AL. Die AL wird gewiß nicht die veränderte Situation als Chance mißverstehen, jetzt die Forderungen an die SPD zu verschärfen. Dazu gibt es inzwischen viel zu viele realistische Äußerungen der alternativen Politiker - sie wissen genau, daß das Programm, ein Konvolut utopischer Patentlösungen, keineswegs ein Regierungsprogramm darstellt. Auch die SPD wird deutlicher berücksichtigen müssen, daß jeder Kompromiß letztlich von der AL-Basis abgesegnet werden muß. Schon diese Tatsache drückt eine vorher kaum vorstellbare Änderung der politischen Kultur aus. Immerhin: bei allen Differenzen gibt es inzwischen keinen einzigen Punkt mehr, der ein Scheitern bei allen anderen Verhandlungspunkten erzwingen wird. Koalitionseuphorie?

Beide Parteien sollten sich erinnern, daß sie nicht gewählt worden sind, weil sie selbst und ihre Programme so überzeugend waren. Die Berliner haben - bei großem Mißtrauen gegen den Ist-Zustand der Parteien - sich für Veränderung entschieden. Eine rot-grüne Perspektive muß mehr sein als der Kompromiß aus beiden Programmen, als die Verknüpfung beider Parteimilieus im Stellenkegel der künftigen Regierung. Die Zukunft der Stadt läßt sich weder in sozialstaatlichen Lösungen noch im verallgemeinerten Selbsthilfemilieu suchen. Die ökologische Wende heißt nicht nur, daß man in Zukunft weniger hustet, sondern auch freier atmet. Die multikulturelle Stadt verkommt, wenn sie nicht ökonomisch floriert und kulturell ausstrahlt, zur Sozialarbeiterhochburg. Beide Parteien müssen sich öffnen. Es wäre der schlechteste Anfang, wenn die Koalition Ämter als Prämie für tapfere Oppositionsarbeit verteilen würde. Die Idee einer Bürgerkoalition, das Angebot an politische Figuren außerhalb - meinetwegen ein Hämer für den Bausenat das wäre ein bitter nötiges, rot-grünes Signal: Denn der Diepgen-Brief ist Auftakt und Text zur Kampagne gegen Rot -Grün.

K.H.