: HÜHNER ABMURKSEN IM OFFENEN STRAFVOLLZUG
■ Ergänzung zum Bericht aus Gütersloh, taz vom 25.1.89
Den Bericht von zha aus Boke und Gütersloh kann ich voll und ganz bestätigen, da ich ebenfalls die Ehre hatte, in Oberems an meiner Resozialisierung zu arbeiten. Allerdings nicht in Boke, sondern in dem Außenlager Herzebrock; aber letztendlich sind die Zustände überall gleich erschreckend, da die geschilderten Verfahrensweisen wohl in jedem der ca. 30 Außenlager (Arbeitslager würde wohl eher passen) vorkommen.
Ich möchte mit diesem Schreiben den aufgeführten Vorgängen noch etwas hinzufügen, was wohl die absolute Krönung des ganzen ist und ein bezeichnendes Licht auf den Resozialisierungsgedanken im offenen Vollzug wirft.
Ich mußte für einen Tag in der von zha erwähnten Kolonne arbeiten. In Herzebrock heißt das in erster Linie Abwassergräben freihalten. Manchmal wird die Kolonne jedoch auch von der Stadtverwaltung oder einem ortsansässigen Bauern angefordert, um dort auszuhelfen. In meinem Fall ging es um das Verladen von Legehühnern bei einem Bauern M. Dieser Mensch hält ca. 7.000 Legehennen unter den bekannten und stark umstrittenen Umständen der Massentierhaltung. Wir, also die Kolonne, hatten die Aufgabe, die eingepferchten Hühnchen aus ihren Käfigen zu holen und zu dem wartenden LKW zu tragen. In jeder Hand drei bis vier Hühner, festgehalten an den Beinen und mit dem Kopf nach unten. Teilweise waren die Tiere in ihren Käfigen eingeklemmt und mußten brutal herausgerissen werden. Das mindeste waren gebrochene Knochen; teilweise wurden ihnen jedoch die Beine bei lebendigem Leibe ausgerissen.
Auf dem LKW wurden diese Hühner dann 14-Stück-weise in Tansportboxen gepfercht. Dabei brachen ihnen dann die Knochen, die bis dahin noch heil geblieben waren. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie Tiere derartig schreien gehört.
Ich schaute mir diese Horrorshow fünf Minuten lang an und machte dann dem uns bewachenden Beamten klar, daß ich eine derartige Arbeit nicht tun würde, da ich erstens noch ein Gewissen hätte und da ich zweitens vor meiner Verhaftung über zwei Jahre aktiv in einer internationalen Umweltschutzorganisation tätig war. Er möge das doch bitte verstehen und mich mit derartigen Arbeiten verschonen.
Er verstand natürlich nichts und fing an zu toben. Er führte ein Gespräch (über Funk) mit seinem Vorgesetzten im Lager. Dieser kam daraufhin auch direkt angefahren, und man machte mich gründlich „zur Sau“. Man drohte mir mit dem „Abschuß“ (also Verlegung in die Mutteranstalt). In diesem Tenor ging es einige Zeit weiter, und schlußendlich hatte man mich dann mit massiven Drohungen weichgekocht. Ich ging an die Arbeit, da ich mir die mit viel Mühe erreichten Lockerungen nicht verscherzen wollte.
Ich torkelte zwei Stunden lang durch eine Agonie aus schreienden Hühnern, knackenden und brechenden Knochen und tobenden Bauern. Mir liefen die Tränen übers Gesicht, da ich schon immer ein ziemlich inniges Verhältnis zu Tieren hatte und mich wegen meiner mangelnden Standfestigkeit in Grund und Boden schämte.
Ich frage Euch, was eine derartige Arbeit mit Resozialisierung zu tun hat? Wir hatten zu der Zeit jede Menge Leute in Herzebrock sowie in der Kolonne, die wegen Körperverletzung und ähnlichen Gewaltdelikten saßen. Einige dieser Fälle hatten doch tatsächlich „Freude“ an dieser Arbeit. Klar, endlich konnte man seine Aggressionen auf staatliche Anweisung abreagieren.
Was in diesem Zusammenhang noch von Interesse ist, ist die Tatsache, daß besagter Bauer wohl Besitzer des Grundstücks ist, auf welchem die Außenstelle Herzebrock steht, und dieses Grundstück an den Staat verpachtet hat. Außerdem ist er, nach eigenen Aussagen, Vorsitzender in irgendeinem Justizbeirat. Er brüstete sich im Beisein mehrerer Zeugen damit, daß er, was den Strafvollzug anbetrifft, einiges zu sagen hat und wir uns aus diesem Grunde vorsehen sollten.
Ihr seht also, daß der Filz nicht nur in der großen Politik seine Fratze zeigt, sondern daß Landadel und Strafvollzug ebenfalls ihr korruptes Süppchen kochen.
Knut Buttnase, Willich
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