GEFÄHRLICHES BUCH MIT „ZERSETZENDER TENDENZ“

■ Die Beschlagnahme von Auszügen aus dem „Gefangenen-Ratgeber“ wurde mal wieder rechtlich abgesegnet

(...) Das Buch Ratgeber für Gefangene, das dem Antragsteller in fotokopierten Auszügen übersandt wurde und deren Aushändigung er begehrt, erscheint als mehr als 600 Seiten umfassende Loseblattsammlung im Verlag „Schwarze Seele“ in Berlin in der 3.Auflage vom Juli 1987. Es enthält eine Abhandlung über die Abläufe im Leben eines Straffälliggewordenen von der Festnahme über die Einlieferung in eine Untersuchungshaftanstalt beziehungsweise eine Justizvollzugsanstalt oder ein psychiatrisches Krankenhaus bis zur Entlassung und Kontaktaufnahme mit Institutionen der Entlassenenhilfe des Arbeitsamtes und der Sozialbehörden. Es ist in 26 Hauptabschnitte mit jeweils bis zu 13 Unterabschnitten, gelegentlich auch weitergehenden Unterteilungen, gegliedert. Die Kammer hat große Teile des Buches durchgelesen und dabei die Einschätzung der Antragsgegnerin bestätigt gefunden. Zwar kann nicht verkannt werden, daß Teile der Abhandlungen durchaus positive Aspekte enthalten. Gleichwohl ändert dies aber nichts daran, daß diese Hinweise von den Autoren nicht verstanden werden als Hilfen für einen Umgang der Gefangenen mit sich selbst und dem Anstaltspersonal mit dem Ziel, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, sondern als Ratschläge im Sinne einer Überlebensstrategie gegen eine auf Zerstörung der Persönlichkeit des Gefangenen zielende staatliche Ordnung, für deren Bekämpfung im übrigen jedes Mittel recht ist. Diese Tendenz tritt in vielen Fundstellen zutage:

Die Verfasser solidarisieren sich mit denen, die gegen staatliche Institutionen arbeiten, und mit denen, die das StGB „verachten und mißachten“ (S.2 der Vorbemerkungen). Sie stellen die Frage, ob diejenigen, „die aufgrund ihres politischen Kampfes“ inhaftiert worden sind, die Bezeichnung „politische Gefangene“ für sich allein in Anspruch nehmen könnten (3.9, S30f), und lassen immer wieder erkennen, daß sie den Widerstand „im Knast“ dem Widerstand „im Untergrund“ gleichachten (4.1., S.1-3, 22. S.4) wie sie auch von den verschiedenen Formen der „politischen Organisation des Widerstandes im Knast“ sprechen (S.3 der Vorbemerkung). Sie heben unter denjenigen, die den Gefangenen wirklich helfen können, die sogenannten Knastgruppen vor, die im Unterschied zu den von den Verfassern karikierten Reformern „nicht besseren Knast“ wollten, sondern dem Staat das Recht absprächen, Menschen einzusperren (10.2, S.2f., S.2 der Kontaktadressen). Aufgabe der „Gefängnismedizin“ sei es, daß „Vernichtungswerk der Justiz“ zu fördern, die Medizin stelle sich als Werkzeug der Folter und der Vernichtung dar (14.1 S.5), die Psychiater seien „Handlanger der Herrschenden“ (19.1.1, S.11). Der Staat gebe lediglich vor, resozialisieren zu wollen, der Glaube an die Resozialisierung gleiche dem Glauben an den Weihnachtsmann, der reformistische Vollzug gleiche Zuckerbrot und Peitsche und diene wie der frühere Vollzug dem Ziel, die Persönlichkeit des Gefangenen zu zerbrechen (3.7, S.25, 5.1 S.4, 13.1. S.1, 19, S.4).

Der Ratgeber enthält unter anderem Ratschläge zur Verwirklichung des angeblich gebotenen Widerstandes. So wird sinngemäß aufgefordert, die Gefangenenmitverantwortung zu benutzen, um die Institution Strafvollzug von innen aufzubrechen (3.7, S.27), man soll versuchen, „einen Beamten in die Falle zu locken“ (5.2, S.9).

Über diese genannten Stellen hat die Kammer eine Vielzahl weiterer Stellen, die sich nahezu auf alle Abschnitte des Ratgebers für Gefangene verteilen, gefunden, die in der oben genannten oder in vergleichbarer Weise dem Gefangenen das Bild einer staatlichen Gemeinschaft und staatlicher Gemeinschaftseinrichtungen suggerieren, deren vornehmliches Ziel die Wahrung einer rein äußerlichen Ordnung und Sicherheit ist, verbunden mit dem daraus zu erklärenden Gebot, gegen Vernichtung von Persönlichkeit und Körper, Gefügigmachen und ständige Willkür Widerstand mit allen Mitteln zu leisten. Nach der Auffassung der Verfasser lohnt es sich nicht, sich auf ein Leben ohne Straftaten in Verantwortung gegenüber diesem Gemeinwesen einzurichten. Die anerkanntermaßen vorliegenden Unzulänglichkeiten des Vollzugs stellen sie als bewußt gehandhabtes Instrument der Vernichtung dar, so daß sie sich auch nicht davor scheuen, den Hungerstreiktod von Holger Meins im Ergebnis als „Mord an einem Hungerstreikenden“ zu charakterisieren (18.8, S.53).

Die Kammer hält daher den Ratgeber für Gefangene nicht für einen Helfer, sondern für eine Anleitung, die rechtstaatliche Ordnung zu bekämpfen, und sei es um den Preis des immer wiederkehrenden Verlustes der persönlichen Freiheit.

Daher trifft auch auf die 3.Auflage des Ratgebers für Gefangene zu, was das OLG Frankfurt in seinem Beschluß vom 10.11.1982 (3 Ws 793/82) festgestellt hat, daß nämlich der Ratgeber für Gefangene neben nützlichen Hinweisen überwiegend sein Ziel darin sieht, vom Tatunrecht abzulenken und bei den aufgrund ihrer Haftsituation ohnehin nur bedingt differenzierungsfähigen Gefangenen eine haßvolle Oppositionshaltung gegen Vollzug, Richter und Rechtstaatlichkeit zu erzeugen. Wiederum zieht sich diese Intention wie ein roter Faden durch den Ratgeber und zwar dergestalt, daß die Verfasser tatsächlich kaum eine Gelegenheit auslassen, um neben objektive Information auch haßerfüllte Agitation treten zu lassen. Diese über das ganze Buch verteilte Tendenz rechtfertigt es auch, dem Gefangenen den Ratgeber vollständig vorzuenthalten, da wegen der das Buch insgesamt durchziehenden agitatorischen und zersetzenden Tendenz und des ganz überwiegend Sicherheit und Ordnung und die Einrichtung des Vollzugsziels erheblich gefährdenden Inhalts eine weniger einschneidende Maßnahme, wie etwa das Schwärzen einzelner Artikel oder Herausnahme einzelner Blätter, nicht mehr ausreichen. (...)

Etwas anderes kann aber auch nicht im Hinblick auf die übersandten fotokopierten Auszüge aus dem Ratgeber für Gefangene gelten. Angesichts des anerkanntermaßen knapp bemessenen Personalbestands in Justizvollzugsanstalten und der vorhandenen Belastung der einzelnen Justizvollzugsbediensteten wäre es ein unzumutbarer Kontrollaufwand, übersandte Auszüge aus dem Ratgeber jeweils auf Stellen hin zu untersuchen, die eine Gefährdung des Vollzugsziels befürchten ließen. Dies um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß es sich um eine Vielzahl beanstandungsfähiger Stellen handelt, die sich nahezu in sämtlichen Abschnitten des Buches vorfinden. (...)