Film im Fernsehen

■ Berlinale '89 bei ARD und ZDF am Sonntag

Wenn ganz Berlin dem Filmfieber erliegt, dann muß sich natürlich auch das Fernsehen, der kleine Bruder des Films, zu Wort melden, um auch den Rest der Nation an diesem Ereignis teilhaben zu lassen. Diese Berichterstattung kann zum Prüfstein werden, wie man an Sonntag abend gesehen hat. ARD und ZDF haben ganz unterschiedliche Wege gefunden, das Berlinale-Treiben dem Fernsehpublikum zu erschließen. ARD: „Berlinale aktuell“

Überraschend kritisch gab sich das ARD um 21.55 Uhr. Nicht Berlinale-Glanz und -Glamour waren Thema des Filmmagazins, sondern die gesellschaftliche Relevanz der Wettbewerbsfilme. Dagmar Sauerstein, die, unter einem Regenschirm vor dem Zoo -Palast stehend, die Sendung einleitete, nannte die Schwerpunkte der folgenden 30 Minuten: amerikanische Produktionen, die sich mit politisch engagierten Inhalten von einer ganz neuen Seite zeigen, und die unterrepräsentierten deutschen Beiträge.

Hansjürgen Rosenbauer, der Leiter der Sendung, bemüht sich sehr stark um ein kontinuierliches Ineinanderfließen der einzelnen Beiträge. Vielleicht erscheint es einem etwas gewollt, wenn nach Ausschnitten aus Talk Radio von Oliver Stone auf den Zoo-Palast umgeblendet wird und die Kamera durch Passantenbeine hindurch einen Rollstuhlfahrer fixiert, während ein Moderator von dem gesellschaftlichen Umgang mit Kranken und Behinderten spricht, um damit den Übergang zu der amerikanischen Produktion Rain Man zu motivieren, in der Dustin Hoffman einen mathematisch hochbegabten Autisten spielt -, aber dennoch zeigt diese Art, die Einzelbeiträge zu verbinden, daß nicht die Filme als Meisterwerk per se beurteilt, sondern sie auf ihre Funktion hin untersucht werden, die sie in der Gesellschaft einnehmen könnten.

Und immer wieder der Blick auf das, was vor den Filmtempeln passiert. In einer Einstellung des ARD-Berlinale-Teams werden zum Beispiel studentische DemonstrantInnen gezeigt, die sich mit wirklich dringlichen Fragen beschäftigen und vor dem Zoo-Palast eine Kundgebung machen. Drinnen, in der Dunkelheit des Kinos, wird die Tagespolitik verdrängt.

Was die neuen deutschen Produktionen betrifft, so bedauert Jury-Mitglied Vadim Glowna zögerlich, daß kein repräsentativer Querschnitt gezeigt werden kann, weil „alle ja nach Cannes gehen und nicht nach Berlin“, und auf die drängende Frage, wo denn die aktuellen Probleme, beispielsweise der Ausländerhaß, behandelt werden, verweist er hilflos auf Hark Bohms Yasemin (eine Liebesgeschichte), die schon monatelang im Verleih ist. Das spricht für sich.

Mit einigen Superman-Zeichentricksequenzen, quasi als Sandmännchen für das Fernsehpublikum, schließt das Magazin, das in aller Kürze einen kritischen Überblick über vieles gab, was auf der Berlinale nicht zu sehen ist. ZDF: „Aspekte“

Kurz vor Mitternacht, um 23.55 Uhr, hatte dann auch das ZDF in Aspekte noch 30 Berlinale-Minuten zu bieten. Anna Doubek führte mit stockendem Redefluß durch die Sendung. Der grundlegende Unterschied zum ARD zeigte sich schon darin, daß die ZDFler nicht vor Ort gehen, sondern zu sich ins Studio bitten. Berlin bei Nacht im Hintergrund ist auch kein rechter Trost!

Nach einigen einleitenden Filmausschnitten, die nur in künstlerischer, nicht aber thematischer Hinsicht kritisiert werden, hört man dann auch endlich den Berlinale-Tratsch. Statt der Hauptdarstellerin Isabelle Adjani seien nun aber andere Stars... Carlos Saura ist der erste Gesprächspartner. Nach Ausschnitten seiner Dunklen Nacht werden ihm Fragen gestellt, die das Niveau bestimmter illustrierter Frauenzeitschriften aufweisen, etwa: Der Film ist lang, schwer und sperrig. War das Ihre Absicht? Aber Saura schert sich, Gott sei Dank, nicht viel um die Fragen und plaudert dann doch ganz interessant über seine Entscheidung, einen Film über einen Mönch im Mittelalter zu machen. Natürlich kommt auch die Moderatorin nicht an der Tatsache vorbei, daß sich in den Berlinale-Filmen die Gegenwartsbezüge nicht gerade aufdrängen, aber das interessiert sie auch nicht weiter.

Doch das Unsägliche dieser Sendung kann noch gesteigert werden. Horst Pehnert, der stellvertretende Minister für Kultur der DDR, wird gefragt, ob er denn keine Angst habe, daß die neuen, kritischen Filme wie zum Beispiel der über Fallada eine „ideologische Aufweichung“ im real existierenden Sozialismus bewirken könnten. Er reagiert ärgerlich. Wen wundert's?

Mit erstaunlicher Konsequenz wird die andere deutsche Filmindustrie diskreditiert, selbst in Nebensätzen: daß die DDR bei Kinderfilmen die „Nase vorn“ hat, muß die Moderatorin Anna Doubek „leider zugeben“.

Wir und Ihr, die geteilte Stadt, kleine Witze über stattfindende oder nicht stattfindende Premierenfeiern der DDR, was hier alles komisch sein soll, ist unfreiwillig tragisch: In einer Zeit der Annäherung zwischen Ost und West kokettiert das ZDF mit Denkmustern, die während des kalten Krieges geprägt und bis heute offenbar tadellos konserviert worden sind.

Letzter Satz des abschließend gezeigten Ausschnittes aus Kai aus der Kiste von Günter Meyer: „Ich finde Bäng zum Kotzen.“ Mir geht es mit dieser Sendung ähnlich.

Im Ersten Deutschen Fernsehen also Kritisches und Informatives, im Zweiten Nebensächliches und Peinliches. Die erste Runde des Ringkampfes um die beste Berlinale -Berichterstattung ist eindeutig entschieden. Aber wir haben ja noch eine Woche Festspiele. Da kann noch manches passieren, wo dann vielleicht das ZDF „die Nase vorn“ haben könnte. Das werde dann ich „zugeben müssen“.

Petra Kohse