„Wir haben die Flüchtlinge selbst produziert“

■ Der Frankfurter Anwalt und Asylrechtsexperte Victor Pfaff über Tendenzen der Asylpolitik / Pfaff ist einer von 26 Sachverständigen, die am kommenden Montag vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestags über die künftige Asylpolitik referieren werden / Im geeinigten Europa kein Platz für Flüchtlinge

taz: Nach dem Wahlerfolg der „Republikaner“ in Berlin wird über eine erneute Verschärfung der Ausländer- und Asylpolitik diskutiert. Ist das bloßes Wortgeklingel oder gibt es angesichts der bestehenden Mehrheiten im Bundestag tatsächlich die Möglichkeit zu noch restriktiveren Maßnahmen?

Victor Pfaff: Was das allgemeine Ausländerrecht anbetrifft, glaube ich nicht an eine Verschärfung, im Gegenteil. Es gibt ja Initiativen innerhalb der CDU und der FDP, noch in dieser Legislaturperiode eine kleine Lösung zu finden unter dem Stichwort „Verfestigung der lange hier lebenden Ausländer“. Was das Asylrecht angeht, glaube ich, daß sich die Aufregung bald legen wird, weil die gesetzlichen Möglichkeiten unterhalb der Ebene des Asylgrundrechts einfach ausgeschöpft sind. Man kann vielleicht noch einige kleine Verschärfungen vornehmen, aber im wesentlichen ist das ausgereizt. Das weiß auch der Bundesinnenminister. Wo man noch ein bißchen drehen kann, ist die Frage der Abschiebungen, aber auch hier wird sich in der Praxis nur wenig ändern. Im letzten Jahr sind etwa 44 Prozent der iranischen Asylbewerber abgelehnt worden, aber aufgrund der politischen Lage in ihrem Heimatland ist es völlig undenkbar, sie jetzt in den Iran abzuschieben. Ähnlich ist es bei Sri Lanka, und auch nach Polen abzuschieben, zögern die Behörden.

In der Asyldebatte tauchte schon vor den Berliner Wahlen immer wieder das Argument Europa auf. Mit dem Wegfall der europäischen Binnengrenzen 1992, so hieß es, müsse die Bundesrepublik ihre Asylpolitik an das Niveau der anderen europäischen Staaten angleichen. Ist die Bundesrepublik denn im europäischen Vergleich tatsächlich ein so attraktives Zufluchtsland?

Es gibt einen ganz wichtigen rechtlichen Unterschied. Der besteht darin, daß das Grundgesetz Artikel 16 Abs.2 der BRD Flüchtlingen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einreise garantiert, sobald sie an die Grenze der BRD gekommen sind und behaupten, politisch verfolgt zu sein. Das heißt die BRD ist verfassungsrechtlich daran gehindert, unter politischen Opportunitätsgründen an der Grenze zurückzuweisen. Allerdings sind auch andere Länder daran gebunden, sofern sie die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben haben. Artikel 33 der Genfer Konvention enthält das Verbot des non -refoulement, das heißt es darf an der Grenze niemand abgewiesen werden, wenn die Gefahr besteht, daß er dadurch in den Verfolgerstaat gelangt oder dorthin weitergeschickt wird. Das ist auch der Grund, weshalb die westeuropäischen Staaten derzeit so heftig versuchen, die Flüchtlinge schon im Vorfeld, in den Verfolgerstaaten oder in einem Drittland, abzuweisen. Das läuft über die Sanktionen gegen die Fluggesellschaften.

Gilt die Bundesrepublik denn in der Praxis als das Asylparadies in Europa, das einen Sog ausübt?

Das kann man bestimmt nicht sagen. Es gibt Staaten, die einen Flüchtling sehr viel schneller integrieren, wenn sie sich entschlossen haben, ihn hereinzulassen. Wer z.B. in Schweden aufgenommen wurde, der wird als Einwanderer betrachtet und erhält in vollem Umfang alle Rechte. In der Bundesrepublik - das muß man anerkennen - sind allerdings die Sozialleistungen für anerkannte politisch Verfolgte besser als z.B. in Frankreich. Auf der anderen Seite ist bei uns die Verfahrensdauer sehr, sehr lang, und in dieser Zeit leben die Flüchtlinge wirklich unter großer Dranksal.

Seit Jahren gibt es auf verschiedenen staatlichen Ebenen Verhandlungsrunden unter dem Stichwort Harmonisierung der Asylpolitik in Europa. Was steht den Flüchtlingen da bevor?

Zuletzt haben sich die Einwanderungsminister der EG in Athen beraten, dann gibt es die Beratung der sogenannten Schengen-Staaten Frankreich, Benelux und Bundesrepublik, und dann finden noch Beratungen auf Europaratsebene statt. Im wesentlichen haben alle drei Runden denselben Inhalt. Erstens: Man will die sogenannten „refugees in orbit“ vermeiden, das sind die Flüchtlinge, die von einem Staat zum anderen weitergeschoben werden. Es soll festgelegt werden, daß ein Staat zuständig ist für die Durchführung eines Asylverfahrens und der Flüchtling nicht einfach weitergeschickt werden kann. Zweitens soll ein Flüchtling nicht mehr die Möglichkeit haben, in ein anderes westeuropäisches Land weiterzuwandern, wenn ein Staat ihn schon abgelehnt hat. Das ist der eigentliche Kernpunkt der Problematik für die Bundesrepublik. Denn bisher garantiert ja das Grundgesetz das Recht auf Einreise. Wenn heute ein Iraner nach Frankreich flüchtet, dort nicht anerkannt wird und daraufhin an die deutsch-französische Grenze kommt, dann muß er zur Prüfung seines Asylgesuchs hereingelassen werden. Das würde aber nicht mehr gelten, wenn sich Politiker auf die Regelung einigen, daß nur das Erstasylland für einen Flüchtling zuständig ist. Deshalb meinen auch vor allem konservative Politiker, daß man das Grundgesetz ändern muß, um zu einer einheitlichen europäischen Regelung zu kommen. Der dritte Punkt, der zur Zeit beraten wird, ist der bedenklichste: Man versucht den Zugang zum Gebiet Westeuropas zu beschränken durch einheitliche Visabestimmungen und durch weitere Sanktionen gegen die Fluggesellschaften.

Bedeutet die „Harmonisierung des Asylrechts“ ausschließlich eine Verschärfung der bundesdeutschen Asylpolitik?

Es ist ganz eindeutig eine Verschärfung intendiert. Das kann man klar sagen. Und es soll eine sogenannte Regionalisierung des Flüchtlingsproblems erreicht werden, das heißt auch die wenigen Flüchtlinge, die bisher den Weg nach Europa gefunden haben, sollen nicht mehr kommen können. Sie sollen in den Regionen bleiben, wo ihre Fluchtursache entstanden ist. Für mich ist das Hauptproblem an der ganzen Sache, daß die Asyldebatte isoliert von den Gründen geführt wird, die Ursache der Flucht waren. Ich denke eine Hamonisierung der Asylpolitik müßte in erster Linie darin bestehen, daß die europäischen Staaten eine harmonisierte Friedenspolitik betreiben. Sie müßten dafür sorgen, daß die Fluchtursachen verschwinden. Zum Beispiel dürften die westeuropäischen Länder in keinem Fall mehr Waffen in Gebiete liefern, aus denen Flüchtlinge kommen. Es gibt z.B. einen ganz direkten Zusammenhang von Giftgas- oder Giftgasanlagen-Lieferungen in die Dritte Welt und Flüchtlingen, die jetzt bei uns Asyl suchen. Ich selbst vertrete als Anwalt Dutzende dieser Opfer von Giftgaseinsätzen. Das sind Flüchtlinge, die haben wir selbst produziert. Wenn die Asyldebatte immer losgelöst von diesem Problem geführt wird, dann verliert die Bundesrepublik jede Legitimation, überhaupt von einem Mißbrauch des Asylrechts zu sprechen.

Wie könnte eine positive europäische Asylpolitik aussehen?

Ich will ein Beispiel nennen: Im vergangenen Jahr kamen fast 65 Prozent aller Asylbewerber in der Bundesrepublik aus drei Staaten: Polen, Jugoslawien und Türkei. In bezug auf alle drei Staaten könnte man auf europäischer Ebene eine gemeinsame Politik machen, die das Fluchtbedürfnis von dort verringert. In der Türkei z.B. gibt es das Problem des Minderheitenschutzes. Die Kurden sind nach wie vor als ethnische Minderheit nicht anerkannt, und die Menschen flüchten als Opfer einer Auseinandersetzung zwischen türkischer Regierung und Freiheitskämpfern. Währenddessen ist die Türkei aber nicht nur Nato-Mitgliedsstaat und von daher zu Freiheit und Demokratie verpflichtet, sondern auch Europaratsstaat. Eine positive Harmonisierug würde für mich bedeuten, daß die Europaratsstaaten gemeinsam die Türkei dazu bringen, daß sie ihre Minderheiten anerkennt, ihnen ihre Rechte gibt und endlich die Folter abschafft. Dadurch würde der Anreiz, in die Budnesrepublik zu flüchten, erheblich verringert. Auch wenn die Türkei die Religionsfreiheit zulassen würde, würde kein Christ oder Alevit mehr hierherkommen wollen. Ähnliche oder andere Aussagen könnte man auch in bezug auf Polen oder Jugoslawien machen. Man muß die Asylpolitik in die historischen und politischen Zusammenhänge einordnen. Aber von offizieller Seite wird sie nur auf die Frage der Anerkennungsquoten und des Mißbrauchs reduziert, und so kann man keine ehrliche Debatte führen.

Im Zuge der Debatte um eine europäische Asylpolitik wird immer wieder an dem Grundrecht auf Asyl gerüttelt. Wird dieses Recht der weltweiten Flüchtlingsproblematik überhaupt noch gerecht? Ist es ein Instrument, um das es sich noch zu kämpfen lohnt?

Ich sage ganz klar ja. Solange die Bundesrepublik und die westeuropäischen Staaten eine zunehmend restriktive Aufnahmepolitik betreiben, darf man den Grundrechtsartikel 16 als Pfand keinesfalls aus der Hand geben. Ich hielte es aber für unklug, ihn auf andere Flüchtlingsgruppen auszudehnen wie etwa diejenigen, die vor Hunger, Bürgerkrieg oder Katastrophen flüchten. Ich bin statt dessen dafür, daß die BRD neben Art. 16 II 2 GG wieder die GFK anwendet. Dadurch würden als Flüchtlinge z.B. solche Personen wieder anerkannt, die sich nur auf sogenannte Nachfluchtgründe berufen können. Familienangehörige erhielten ebenfalls Flüchtlingsstatus. Aber es wären auch Personen besser geschützt, die den Flüchtlingsbegriff der Konvention nicht erfüllen. Ich erinnere z.B. an den Beschluß des Exekutiv -Komitees des UNHCR (UN-Flüchtlingskommissar, d.Red.) von 1981, wonach Asylsuchende „geschützt“ werden sollen, die Teil einer Massenfluchtbewegung infolge von Krieg und Bürgerkrieg sind. Wir können hier an unsere de facto -Flüchtlinge aus Libanon, Sri Lanka und andere Staaten denken. Ich halte die Genfer Konvention daher für ein wichtiges Instrument, das man über den Rahmen des Artikel 16 anwenden sollte. In der Bundesrepublik gibt es aber gar kein Verfahren mehr zur Anerkennung als Flüchtling auf Grundlage der Genfer Konvention wie z.B. noch in den fünfziger Jahren. Der Flüchtlingskommissar drängt seit langem darauf, daß die Bundesrepublik zur Anwendung dieser Konvention zurückkehrt, die sie unterzeichnet hat und die verbindliches Recht ist.

Gibt es eigentlich noch Chancen, eine Asylrechtsverschärfung, die im Zuge der europäischen Harmonisierung droht, zu verhindern?

Ich halte das nicht für aussichtslos. Es gibt in der Union eine immer stärker werdende Fraktion, die in der Flüchtlingsfrage eine ganz aufgeschlossene Haltung hat. Das sind z.B. die Vertreter die christdemokratischen Arbeitnehmerschaft. Daneben gibt es die Wohlfahrtsverbände, Kirchen und den DGB, die sich für Flüchtlinge engagieren.

Die europäischen Regierungen haben die Weichen für eine Zusammenarbeit in der Asylfrage schon längst gestellt. Aber auf der unteren Ebene, bei den Gruppen und Initiativen, die dieser Politik etwas entgegensetzen wollen, wird es schwer sein, gemeinsam vorzugehen.

Ja, aber es gibt auf europäischer Ebene schon Zusammenschlüsse, die eine Gegenposition zur Regierungspolitik vertreten, z.B. die „European consultation on refugees and exiles“. Auch die Kirchen engagieren sich stärker auf europäischer Ebene. Ich denke, auch hier wird der Druck von oben Gegendruck erzeugen.

Interview: Vera Gaserow