Freie Bahn für Hausbesitzer!

Bundesverfassungsgericht gesteht Wohnungseigentümern weitgehende Kündigungsmöglichkeiten zu Gerichte sollen den tatsächlichen Eigenbedarf des Vermieters nur noch begrenzt prüfen  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz/ap) - Vom leidigen Mieterschutz geplagte Haus und Wohnungseigentümer können aufatmen: die höchsten Richter der Nation haben gestern eine Lanze zu ihren Gunsten gebrochen. Die Entscheidung eines Wohnungseigentümers, seine Mietwohnung nunmehr für sich selber oder nahe Anverwandte nutzen zu wollen, sei grundsätzlich zu achten, urteilten die Richter des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Vermieter müssen zwar „vernünftige und nachvollziehbare Gründe“ anführen, wenn sie wegen Eigenbedarfs kündigen. Diese Gründe dürften allerdings nicht wie bisher von den Gerichten unbeschränkt nachgeprüft werden, meinten die Karlsruher Richter. Der Wunsch eines Wohnungsbesitzers, die vermietete Wohnung selbst zu nutzen, lasse sich nicht nur an objektiven Kriterien messen, sondern hänge eng mit dem bisherigen Lebenswerk und den persönlichen Zukunftsvorstellungen des Eigentümers zusammen.

Noch vor vier Jahren sahen die Bundesverfassungsrichter die Problematik mieterfreundlicher: „Die Sozialbindung des Eigentums von Wohnraum beruht darauf, daß dieser nicht unbeschränkt zur Verfügung steht und als Lebensmittelpunkt des Mieters anzusehen ist.“ Bezeichnender Kommentar des Haus - und Grundbesitzerverbands zu der gestrigen vermieterfreundlichen Kurskorrektur der Verfassungsrichter: „Damit läßt sich leben.“ Der Deutsche Mieterbund hingegen nannte die Grundsatzentscheidung „einen Anschlag auf den sozialen Rechtsstaat. Sie stellt die Interessen der Vermieter grundsätzlich höher als die von Millionen Mietern.“

Welch hohen Rang die Karlsruher Richter dem heiligen Gut Eigentum beimessen, haben sie gestern nicht nur in allgemeinen Ausführungen deutlich gemacht, sondern auch am Beispiel zweier Verfassungsbeschwerden aufgeführt. So kann ein Hauseigentümer seinen Mietern auch dann kündigen, wenn er das Haus verkaufen will und dafür im unvermieteten Zustand einen sehr viel höheren Verkaufspreis herausschlagen könnte. Auch daß der Vermieter den reklamierten Eigenbedarf „willentlich“ herbeigeführt hat, etwa durch den Verkauf seiner bisherigen Wohnung, schützt die Mieter künftig nicht vor einer Kündigung. In Zukunft werden sich Mieter auch nicht mehr mit dem Argument wehren können, der Vermieter habe ihm gehörende andere leerstehende Wohnungen zur Verfügung, in die er oder seine Angehörigen einziehen könnten.

Die gestrige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts setzt den Endpunkt unter eine Kette von sich widersprechenden Urteilen der diversen Amts- und Landgerichte. Schon im Januar letzten Jahres hatte ein Dreier-Ausschuß des Bundesverfassungsgerichts mit einer Vorentscheidung die bevorstehende Wende zugunsten der Hauseigentümer angedeutet. Allein seit dieser Vorentscheidung, so schätzen Mietexperten, haben sich die Erfolgschancen der Mieter bei Räumungsklagen um die Hälfte verringert. Einem anderen Trend haben die Verfassungsrichter dagegen gestern kräftigen Auftrieb verschafft. Die in Großstädten ohnehin grassierende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird für Spekulanten nun noch attraktiver. Jetzt können sie den Kaufinteressenten versprechen, daß die noch vermietete Wohnungen bald zum Eigenbezug freistehen werden.