Mädchen inspirieren ihn mehr

■ Ein Gespräch mit Bulle Ogier, einer der Darstellerinnen in „La bande des quatre“ von Jacques Rivette (im Wettbewerb)

Gegenüber dem Haus in der Avenue Pierre Ier de Serbie in Paris liegt das Haus des Arbeitgeberverbandes. Auch an diesem Nachmittag wird demonstriert, diesmal ist es die Künstlergewerkschaft. Oben im sechsten Stock wohnt die Schauspielerin Bulle Ogier. Sie ist nicht arbeitslos. Zur Zeit arbeitet sie fürs Fernsehen. Gemeinsam mit ihrer verstorbenen Tochter Pascale spielte Bulle Ogier in Jacques Rivettes „Le Pont du Nord“, neben Michel Piccoli war sie als Hermione in Luc Bondys Theaterinszenierung von Shakespeares „Wintermärchen“ zu sehen. „La bande des quatre“ (Die Viererbande) ist ihr sechster Film mit Rivette. Sabine Seifert sprach mit Bulle Ogier in Paris.

Bei Rivette gibt es stets Verschwörungen, im kleinen und im großen. Diesmal ist es ein Komplott der Frauen. Kommen Sie persönlich auch aus einer Frauenfamilie?

Das kann man nicht unbedingt sagen.

In „La bande des quatre“ gibt es nur einen einzigen Mann ...

... der auch noch mies ist ...

... während unter den Frauen Komplizenschaft herrscht, eine geheimnisvolle Komplizenschaft. Rivette beläßt ihnen ihr Geheimnis, stellt die Frauen nicht wie Rohmer aus, sondern betrachtet sie als Vermittler zwischen Fiktion und Realität, Film und Theater, Wesen, die darum wissen, daß es noch eine andere Art der Realität gibt. Was bedeuten diese Frauen für Rivette?

Das ist schwer zu beantworten. Rivette hat fast nur mit Frauen gearbeitet, bis auf ein oder zwei Filme. Er ist immer ein Frauenregisseur gewesen. In Rohmers Filmen hingegen sind Männer recht wichtig. Bei Rivette tauchen sie, wenn überhaupt, als nicht besonders sympathisch oder Nebenfiguren auf. Sie sind nicht stereotyp, während die Geschichten der „Moralischen Erzählungen“ oder „Komödien und Sprichwörter“ von Rohmer auf Stereotypen aufbauen.

Rivette überläßt sehr viel mehr dem Zufall bei seiner Arbeit mit den Schauspielerinnen . Da gibt es immer etwas Geheimnisvolles, die spielerische Seite, die Kindheit.

Wie wurde für „La bande des quatre“ gearbeitet? Mit einem festen Drehbuch oder improvisierend?

Diesmal ist nicht improvisiert worden. Die Dialoge wurden jeden Tag von Pascal Bonitzer und Christine Laurent geschrieben. Es gab eine 20-Seiten-Vorlage der Geschichte, mit dem Geheimnis der Mädchen, des Hauses, des Mannes, der Schauspielschule.

Sie verkörpern im Film Constance, die Schauspiellehrerin. Gibt es auch zwischen ihr und den Mädchen eine Komplizenschaft?

Durch Respekt und Hierarchie vermittelt. Constance stellt sehr strenge Regeln auf. Als Modell dafür galt ein wenig die Schule von Louis Jouvet. Rivette hat es noch weiter getrieben, indem er auf der Trennung von Jungen und Mädchen bestand, wie sie früher in den Schulen üblich war, um Flirts und Ablenkungen zu vermeiden, etc. Ihn faszinierte die Strenge einer Priester- oder Schwesternschule, er hatte die Idee eines Klosters, zumal er damit vermeiden konnte, Jungen in den Film hineinzunehmen. Mädchen inspirieren ihn nun mal mehr.

Haben Sie selbst die Texte für das Theater im Film, die Auszüge aus den Dramen von Marivaux, Racine, Moliere für die Proben mit den Schülerinnen ausgewählt?

Das war ganz allein Rivette. Es ist der erste Film, bei dem ich mich nicht eingemischt habe. Das ist sicherlich weniger aufregend, weniger kreativ, aber er wollte es so. Er stellt die Regeln auf, nicht ich. „La bande des quatre“ ist der sechste Film, den ich mit Rivette gemacht habe. Es ist das erste Mal, daß er mir auf diese Weise eine Rolle angeboten hat. Sonst habe ich immer mitgearbeitet. Ich hätte z.B. nie verboten, daß die Mädchen rauchen, und wenn jemand zu spät kommt, kommt er halt zu spät.

Wie lange wurde an „La bande des quatre“ gedreht?

Normal. Sechs, sieben Wochen lang.

Sie haben viel „en famille“ gearbeitet, das heißt meist mit denselben Leuten. Neben Rivette haben Sie mehrere Filme mit Marguerite Duras gemacht. Verhindert das Familiäre nicht auch neue Erfahrungen, oder was ist daran vorteilhaft?

Es sind eher die Regisseure, die wieder mit denselben Schauspielern arbeiten möchten. Sie dringen mit ihnen weiter vor, weil sie ihre Qualitäten und ihre Fehler einschätzen können. Das gilt noch mehr fürs Theater. Bei der Arbeitsmethode von Rivette ist es auf jeden Fall ein Zeitgewinn. Sie ist dem Theater nahe. Der Regisseur hat seine Truppe, kennt seine Schauspieler. Er weiß, wie sie auf der Bühne ihre Gefühle ausleben.

Kann man denn die Regeln des Theaters fürs Kino übernehmen?

Nein. Ein guter Theaterschauspieler kann ein guter Filmschauspieler sein, während ein guter Filmschauspieler nicht unbedingt ein guter Theaterschauspieler sein muß.

Wechseln Sie gerne zwischen beidem?

Ja, allerdings stimmt es, daß man neben dem Theater nichts anderes machen kann. Die Arbeitsweise ist verschieden. Beim Film dauert die Aufnahme nur wenige Sekunden, das ist riskanter, weil man sie schnell verpatzen kann. Eine Aufnahme wird sehr selten wegen des Schauspielers wiederholt. Ist er mittelmäßig, dann geht es in Ordnung, wenn der Ton, das Licht, das Travelling stimmen. Der Regisseur kann alles Mögliche bei der Montage austauschen. Wenn der Schauspieler im Theater erst einmal auf der Bühne steht, dann ist nichts mehr zu machen.

Mehrere von Rivettes Filmen sind nie im Kino bzw. im Ausland gelaufen oder wurden gleich wieder abgesetzt wie beispielsweise sein letzter Film „Hurlevent“. Warum ist Rivette selbst in Frankreich nicht richtig anerkannt?

Weil das Kinogeschäft immer mehr Show-business, eben Business wird. Filmgeschichtlich, bei der Kritik ist Rivette ja sogar international anerkannt. Aber das Publikum hat allgemein Schwierigkeiten mit allem, was weniger sinnfällig, amüsant, kindisch ist. Es gibt keine Gewalt, keinen Sex bei Rivette. Keine große Ausstattung, keinen großen Star. „La bande des quatre“ ist ein gelungener Film. Schon die Länge seiner Filme ist ein Handicap. Aber „Celine und Julie fahren Boot“ hat trotz der Länge Geld gemacht, manche Filme laufen eben.

Jacques Rivette, Die Viererbande, Frankreich/Schweiz 1988, 165 Minuten, mit Bulle Ogier, Laurence Cote

16.2., Zoo-Palast, 14.00 und 20.00 Uhr

17.2., Gloria-Palast 11.30 Uhr, Urania Humboldtsaal 21.00 Uhr