Bratschen und Tränen

■ Olivier Assayas: L'Enfant de l'hiver

Olivier Assayas war früher Filmkritiker, immerhin bei den „cahiers du cinema“, und wollte dann selbst bessere Filme machen als er vorher kritisieren mußte. Das ist ihm auch bei seinem zweiten Anlauf nur ansatzweise gelungen. Er macht ganz schöne Bilder, besonders von Gesichtern, ganz groß und bevorzugt von Frauen. Und aus jedem seiner Gesichter spricht eine menschliche Katastrophe: Da ist Nathalie, hochschwanger und in ständiger Angst vor einer Fehlgeburt. Das ist schon eine Träne wert. Sabine hat große, dunkle Augen, mit denen sie am liebsten die Männer verschlingen würde. Besonders den Heldentor Bruno, so eine Art Nero-Kopie, aber der wehrt sich dagegen, was Sabine zutiefst neurotisch werden läßt, bis sie drastisch ihrer Psyche Ausdruck verleiht - erst mit dem Messer, dann mit der Pistole. Hauptfigur ist Stephane, weil er zwischen den beiden Frauen steht, und in seinem Gesicht steht gar nichts außer einer unendlichen Langeweile, die sich in seiner Wortkargheit spiegelt. Allen gemeinsam ist ihr Alter, so gegen Ende 20, und der schwere Schritt, den sie zu tätigen haben - nämlich der ins Leben. Der kostet seinen Preis, allen voran: Der Verlust der unschuldigen Liebe. Jeder von ihnen schleppt seine Altlasten in die nächste Beziehung mit, kann nicht mehr mit ihr/ihm, aber auch noch nicht ohne. Es geht um die uralte Eifersucht, aber die muß ja jeder für sich entdecken. Und Assayas geht da von ganz oben ran: Nicht solche alltäglichen Beziehungskräche. Bei Assayas wird das gleich zur Frage von Leben und Tod. Zu bratschigen Melodien kehren die Schauspieler ihr Innerstes nach außen, außer Stephane, bei dem wohl nichts drin ist.

Die Frauen jedenfalls leiden an sich und der bösen Welt, daß es ein paar weitere Tränen wert ist. Beim Zuschauer führt das allerdings zum gegenteiligen Effekt: Wie gerne würde man mitleiden, bloß wirkt die Überdramatisierung eher komisch: Kommt sie jetzt oder kommt sie nicht - die Träne. Sie kommt garantiert. Wie die Bratsche, der Regen und das Gewitter. Das sind die Zutaten für einen Psycho-Thriller, und Assayas baut auch eine spannungsgeladene Atmosphäre auf, bloß kommt danach nichts. Der Psycho ist einfach zu dünn und wird deshalb künstlich aufgeblasen. Die Folge daraus ist ein enormer Realitätsverlust, der die Figuren zu pathologischen Fällen abstempelt. Und irgendwann nervt es dann, wenn sie wieder leiden und keiner weiß wofür. Das kann nur bedeuten, daß Olivier Assayas selber noch nicht erwachsen ist: Er will großes Kino machen, bloß fehlen ihm dafür die großen Geschichten: Und das sieht dann so aus, als führe einer mit dem Carrera-Autor auf der Autobahn.

Lutz Ehrlich

Olivier Assayas: Das Winterkind, mit Michel Foller, Clotilde de Bayser, Gerard Blain u.a., Frankreich 1989, 85 Min.

16.2., Arsenal, 10.00 Uhr

17.2., Akademie der Künste, 22.15 Uhr