Autonomie ist keine Kuschelecke

■ Sinnvoll ist nur eine Doppelstrategie: Spielräume in den Institutionen erweitern autonome Projekte absichern / Denn außeruniversitäre Impulse bleiben politisch notwendig / Teil zwei der Strategiedebatte um feministische Wissenschaftspolitik

Carol Hageman-White, Karin Hausen

Frauen, verzettelt Eure Kräfte nicht länger in der „lila Kuschelecke“ autonomer Frauenforschung. So lautet die Botschaft von Helga Foster und Barbara Schaeffer-Hegel in ihrem polemischen taz-Beitrag (9.Februar 1989.). Frauen sollen statt dessen zwar nicht gleich den Sturm auf die noch verschlossenen Tore der Wissenschaft antreten, aber sich mit froher Erwartung wappnen; denn: „Es ist Zeit, daß diese Tor(e) auch ihnen geöffnet werden“. Ob von innen oder von außen bleibt vorerst ungeklärt; doch die Hoffnung richtet sich auf die Frauenbeauftragten der Länder, die prädestinierten „Agentinnen einer (...) bundesweiten integrativen Frauenforschungspolitik“. Unsinn sei es dagegen, „daß Frauen ihre Kräfte bei der Realisierung von Sondermitteln für Frauenforschung verbrauchen“. Denn um „bundesweit die Integration von Frauen in Beruf, Wissenschaft, Forschung und Kultur durchzusetzen“, müsse doch nur schlicht und einfach eine mit RegierungsvertreterInnen besetzte Bund-Länder-Kommission einberufen werden.

Genug der Gegenpolemik. Gewiß ist es richtig, immer wieder zu betonen, daß Frauen gleichberechtigt und in gleicher Zahl in allen etablierten Institutionen der Wissenschaft ihren Platz besetzen müssen. Doch ebenso gewiß ist es falsch, dem Rat der Autorinnen zu folgen und kurzentschlossen die Verwurzelung der feministischen Wissenschaft in den autonomen Arbeitszusammenhängen der Frauenbewegung zu verleugnen oder gar zu kappen.

Feministische Frauenforschung ist in der ersten Hälfte der 70er Jahre aus der Begegnung zwischen der autonomen Frauenbewegung und den Erfahrungen von Entfremdung und Ausgrenzung innerhalb der von Männern dominierten Hochschulen entstanden. Zum Selbstverständnis feministischer Wissenschaft hat es deshalb gehört und gehört es noch immer, aus dem Spannungsverhältnis zwischen politischer Praxis, Integration und Absonderung im etablierten Wissenschaftsbetrieb produktive Energien zu schöpfen. Die Namen der meisten Frauen, die damals ihr Engagement für feministische Frauenforschung streitbar in die Wissenschaftsinstitutionen hineingetragen haben, suchen wir heute vergeblich in den Listen des festangestellten oder verbeamteten Wissenschaftspersonals. Viele dieser Frauen kamen zu spät, um noch in der Expansionszeit des Bildungssystems Dauerstellen zu ergattern. Viele ziehen es aber aus guten Gründen auch heute noch vor, ihre inhaltliche und politische Arbeit in selbstbestimmten Strukturen zu leisten. Frauenhäuser, Frauenbildungsvereine, Frauenforschungsinstitute sind alles andere als Ausdruck „defensiver Strategien„; denn gerade in ihnen ist es gelungen, die Borniertheit und eingefahrene Frauenmißachtung der etablierten Institutionen radikal anzugreifen.

Ohne autonome Frauenprojekte gäbe es heute keinen Diskurs über Gewalt gegen Frauen; ohne das „wilde Denken“ der außerhalb der Institutionen arbeitenden Frauen hätten wir heute weder Tagungen noch Professuren noch Veröffentlichungschancen für eine feministische Frauenforschung. Und auch heute noch gilt, daß die Zweigleisigkeit von Autonomie und Integration die entscheidende Bedingung ist für eine Frauenwissenschaft, die mehr will als Eintrittskarten zu relativ gut bezahlten Beschäftigungspositionen.

Um so ärgerlicher ist es, daß Foster und Schaeffer-Hegel mit ihrem Plädoyer für eine ausschließlich integrative Wissenschaftspolitik wieder in die vehemente Abwehr aller Autonomiebestrebungen von Frauen zurückfallen. Warum versuchen sie erneut, das Denken und die Politik von Feministinnen an den Kreuzweg des Entweder-Oder zu schicken? Obwohl inzwischen Frauen innerhalb und außerhalb der Institutionen begriffen haben, daß unsere Stärke in der Doppelstrategie wechselseitiger Unterstützung wächst. Warum halten es die Autorinnen für angebracht, allen Frauen, die außerhalb der Institutionen arbeiten und arbeiten wollen, Klagsamkeit, Internalisierung der Diskriminierung, Mangel an Realitätssinn und kuschelnde Bequemlichkeit vorzuwerfen? Und warum bedienen sie sich des perfiden Hinweises, Frauen, die für eigenbestimmte Arbeitszusammenhänge Geld vom Staat fordern, würden dieses Geld den Armen und Kranken der Nation wegnehmen?

Wer der verläßlichen und kontinuierlichen Zusammenarbeit unter Frauen den Vorzug vor spektakulären Einzelauftritten gibt, wird mit Irritation den Zerrspiegel erkennen, der in besagtem taz-Beitrag der aktuellen feministischen Wissenschaftspolitik vorgehalten wird. Wieso erscheint es als unerträgliche „Negativbilanz“, wenn selbstbewußte Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen kritisch festhalten, daß die Wissenschaftsinstitutionen nach wie vor Frauenforschung und Wissenschaftlerinnen fernzuhalten verstehen? Was soll die Belehrung über den Terminkalender von DFG-Referentinnen? Und dunkle Andeutungen, Fehler in der Antragstellung hätten den DFG-Schwerpunkt Frauenforschung zum Scheitern gebracht, sind nur deshalb bemerkenswert, weil Schaeffer-Hegel zu den Antragstellerinnen gehörte und ihre Selbstkritik bislang noch nicht im Kreise der Mitantragstellerinnen zur Diskussion gestellt hat.

Näher kommentiert sei die Bemerkung, Frauenforschungsinstitute könnten in die „Blaue Liste“ der förderungswürdigen Einrichtungen aufgenommen werden, wenn sie nur den „lila Farbpinsel“ aus der Hand legen würden. Die Autorinnen erklären kursorisch, wie die gemeinsame Förderung von Forschungseinrichtungen durch Bund und Länder geregelt ist, und werfen lakonisch hin, auch die Frauenforschung könnte in die „Blaue Liste“ aufgenommen werden.

Genau dieses wurde im Verlauf der Berliner Tagung geprüft. Ein Aufnahmeverfahren würde rund zehn Jahre beanspruchen; die Aufnahme hätte einen Jahresumsatz der Einrichtung von mindestens acht Millionen Mark zur Voraussetzung und der Bundesregierung und der jeweiligen Landesregierung käme dann das Recht zu, je einen Vertreter in das Kuratorium des Instituts zu entsenden. Seit zehn Jahren gründen und entwickeln Wissenschaftlerinnen eigene Bildungs- und Forschungseinrichtungen und Archive. Sie tun dieses, weil ihr Verständnis von Frauenforschung auch veränderte Umgangsweisen miteinander, mit Wissenschaft, Leben und Politik umfaßt. Auf Dauer angelegte selbstbestimmte Arbeitszusammenhänge sind z.B. das Frauen-Forschungs -Bildungs- und Informationszentrum FFBIZ Berlin, das Berliner Institut für Sozialforschung, die Frauenakademie München, das Feministische Forschungsinstitut Frankfurt, das Archiv der deutschen Frauenbewegung Kassel, um nur einige zu nennen, die sich in der „Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenforschungseinrichtungen“ zusammengeschlossen haben. „Lila Forschungsinstitute“ werden also nicht erst gefordert, sondern haben sich über Jahre entwickelt, indem sie Forschungsgelder von Ministerien, Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen einwarben. Unter dem spielerischen Stichwort „Lila Liste“ wird augenblicklich darüber nachgedacht, wie die Kontinuität der Arbeit über Einzelprojekte hinweg durch einen Sockelbetrag gesichert werden kann, ohne den Weg einer partiellen Verstaatlichung zu gehen. Das nötige Geld soll durchaus weiterhin aus „vorhandenen Geldtruhen“ kommen. Von einem Sondertopf war in Berlin nicht die Rede.

Die gescholtene Berliner Tagung brachte für die Forschungsförderung der nahen Zukunft Zwischenergebnisse, die viel konkreter und differenzierter sind, als die wenig luziden Globalutopien der Autorinnen.

Stabilisierung der Autonomie und gleichzeitig Erhöhung der Akzeptanz in den Wissenschaftsinstitutionen lautet die Devise der Doppelstrategie, die sicherlich aussichtsreicher ist als die verächtliche Abkehr von allem, was lila ist. Das lila Gedankenspiel sinnt auf die Verwirklichung hier und heute von eigenständigem weiblichen Diskurs und eigenständiger Frauenkultur. Es geht um die kreative Entfaltung dessen, was Frauen miteinander anfangen können, um die Identifizierung von Frauen mit Frauen, die Abkehr von der „abgeleiteten Identität“. Wenn wir die Hälfte der Gesellschaft sind und unsere Rechte einfordern, dann an erster Stelle das Recht auf Selbstbestimmung, damit Bildung, Entdeckungslust und Kreativität unter Frauen eine andere Qualität gewinnen können. Dazu brauchen wir die eigenständigen Fraueneinrichtungen und diese den Zugang zu den Ressourcen der Gesellschaft ebenso, wie die Frauen innerhalb der Institutionen nach Erweiterung ihrer Handlungsspielräume verlangen. Eben deshalb gibt es mehr als nur eine richtige politische Strategie.

Zu den Autorinnen:

Carol Hagemann-White ist Professorin für politische Wissenschaft in Osnabrück.

Karin Hausen lehrt Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Technischen Universität Berlin.