Türkische Sozialdemokraten feuern Kurden

Der Disziplinierungsausschuß der türkischen Sozialdemokraten ordnet den zweijährigen Ausschluß des Abgeordneten Aksoy an / Er hatte vor dem Europarat kulturelle Autonomie für das kurdische Volk gefordert und die Verletzung der Menschenrechte angezeigt  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Von der „Existenz eines kurdischen Volkes, dem kulturelle Autonomie gewährt werden müsse“, hatte der sozialdemokratische Abgeordnete Ibrahim Aksoy in einer parlamentarischen Kommissionssitzung des Europarates in Straßburg geredet. Sein Generalsekretär Denzi Baykal, der über die politische Linie der Partei wacht, war dabei und hat es selbst gehört. Nun soll Aksoy für seine Worte büßen: Die Sozialdemokratische Volkspartei SHP berief in Eile den Disziplinarausschuß ein und schloß den Querulanten für zwei Jahre aus der Partei aus - die Höchststrafe für satzungs und parteiwidriges Verhalten. Das kurdische Volk kommt nämlich nicht vor in den programmatischen Erklärungen der türkischen Sozialdemokraten. „Die Kurdenfrage ist ein Tabu, und Parteien und Medien hetzen gegen mich“, erklärt Aksoy im Gespräch mit der taz. „Bis heute hat man ihre Existenz nicht anerkannt. Im offiziellen Jargon heißen sie 'Bergtürken‘. Ich habe vor der Kommissionssitzung zur Situation der Menschenrechte in der Türkei referiert: Die antidemokratischen Bestimmungen der Verfassung, die Hungerstreiks in den Gefängnissen, die Massenprozesse. Ein Polizeipräsident, der gerichtlich wegen einem Foltermord verurteilt ist, darf anschließend weiter im Amt bleiben. Es wird von Demokratie geredet, und ein Abgeordneter darf in einer Kommission des Europarates über solche Zustände nicht reden.“

„Ich werde wegen meinem Ausschluß aus der Partei nicht meine sozialdemokratische Gesinnung ablegen“, betont Aksoy, der gerichtlich gegen seinen Rausschmiß angehen will. „Es ist nicht Separatismus, wenn ich die demokratischen Forderungen der kurdischen Bürger zum Ausdruck bringe.“ Separatismus ist nicht nur ein erschlagendes Schimpfwort, sondern auch - ist man nicht im Genuß parlamentarischer Immunität - strafrechtlich relevant. Immense Gefängnisstrafen drohen demjenigen, der „separatistische Propaganda treibt“.

Der Ärger der Parteispitze mit kurdischen Abgeordneten, die immer wieder mit der „Kurdenfrage“ vorpreschen, ist Dauerbrenner der türkischen Innenpolitik. Ende November hatte der Parteivorstand ganze Ortsvereinsvorstände des Amts enthoben. Sie hatten den Angehörigen der politischen Gefangenen während des Hungerstreiks in den Gefängnissen die Parteibüros zur Verfügung gestellt und wurden „kurdenfreundlicher“ Politik bezichtigt. Der Grund für die Konflikte in der SHP ist in ihrer Entstehungsgeschichte begründet.

Während staatstreue Kemalisten die Partei anführen, ist die Basis der Partei recht heterogen. Nach dem Militärputsch 1980 und den Nationalwahlen 1983 bot die Partei in den südöstlichen Provinzen des Landes den einzigen legalen Rahmen für oppositionelle Kurden, politisch tätig zu werden. Parteifunktionen boten relativen Schutz vor Übergriffen durch die Kriegsrechtsverwaltungen. Bei den Nationalwahlen 1987 setzte die Basis gegen den Willen der Parteispitze ihre Kandidaten zum Abgeordnetenhaus durch.

Es scheint, daß der Ministerpräsident Turgut Özal bei den Kommunalwahlen, die im März anstehen, die „Kurdenlastigkeit“ der SHP zum Wahlkampfthema machen will. „Da verpfeift uns einer im Europaparlament“, verkündete Özal auf Wahlkampftournee. Böses verheißt er für die Zukunft: „Wehe dem Land, wenn diese Separatisten in die Stadträte kommen und den Terror unterstützen.“ Doch auch die Partei des Ministerpräsidenten ist nicht kurdenrein. Sein Abgeordneter Nurettin Yilmaz, selbst einst Folteropfer, erklärte sich mit dem sozialdemokratischen Kollegen solidarisch: „In der Türkei gibt es eine Kurdenfrage, und die muß auf die Tagesordnung des Parlaments.“

Die größte Tageszeitung, 'Hürriyet‘ mahnt indes zu überparteilicher Solidarität. Die Parteispitzen sollten gemeinsam gegen „staatszersetzende“ Abgeordnete vorgehen. Ansonsten drohen „blutige Auseinandersetzungen“.