Das Protokoll schreibt „-innen“ jetzt kursiv

Erste Frauenfraktion der Welt rotiert aus der Hamburger Bürgerschaft GAL-Damen schufen Bewußtsein - im Umgang mit der Sprache  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Es dauerte über ein Jahr, dann hatte das Protokoll der Hamburger Bürgerschaft ein Problem gelöst. Die Stenotopisten wußten lange Zeit nicht, was sie niederschreiben sollten, wenn eine der acht Abgeordneten von der Grün-Alternativen Liste (GAL) während einer Debatte von „DemonstrantInnen“, „HafenstraßenbewohnerInnen“ oder „ImmigrantInnen“ sprach.

Nach einigen Gesprächen mit GAL-Fraktion und Bürgerschaftskanzlei hatten die amtlichen Schnellschreiber den Dreh raus: Sie verzichteten auf das große I und setzten die weibliche Endung kursiv. Damit hat die erste, nur aus Frauen bestehende Fraktion in der Geschichte des Parlamentarismus eine Duftnote hinterlassen, von der man und frau wohl noch zehren wird, wenn die GAL schon nicht mehr im Hamburger Landesparlament vertreten ist.

Wenn Abgeordnete der GAL-Fraktion heute danach gefragt werden, was sie in ihrer zweijährigen Amtszeit - die Hamburger Grünen sind der letzte Landesverband, in dem die ParlamentarierInnen nach der Hälfte der Legislaturperiode ausgetauscht werden - verändert haben, dann fällt ihnen zuerst die Sensibilisierung der Sprache ein. Ihr Beharren auf das weibliche Element selbst in der so hoffnungslos verbürokratisierten parlamentarischen Sprache zeigt Erfolge. Wenn auch vorerst nur kleine.

Immerhin: Die 83jährige Charlotte Fera, für die CDU seit 1957 in der Bürgerschaft vertreten, klingelt RednerInnen rigoros ab, wenn sie als Mitglied des Bürgerschaftsvorstandes mit „Frau Präsident“ angesprochen wird - „Das kann ich nicht durchgehen lassen“. Aber die liebenswerte und quirlige alte Dame (selbst zu festlichen Anlässen trägt sie als Halsschmuck eine silberne Friedenstaube mit eingraviertem Frauenzeichen) ist nicht repräsentativ für die Frauen von SPD, FDP und CDU. Ihre Fraktionskollegin Susanne Rahardt-Vahldieck etwa ist von den geschlechtsneutralen Endungen gar nicht begeistert, und auch die FDP-Politikerin Meta Stölken glaubt nicht, daß den Belangen der Frauen damit geholfen werde.

Dennoch: Allein der Einzug einer Frauenfraktion hat in den anderen Parteien Diskussionen ausgelöst - am heftigsten vielleicht sogar in der CDU. Dort konnte, erinnern sich Unionspolitikerinnen noch heute, unbefangener über die Frauenfrage gestritten werden als in der SPD. „Wir brauchten die GAL-Frauen nicht“, verteidigt sich etwa die SPD -Abgeordnete Ute Pape, „immerhin haben Sozialdemokraten vor 70 Jahren das Frauenwahlrecht durchgesetzt.“ Die Angst, durch das Hochkochen der Frauendiskussion öffentlich der Nähe zur GAL verdächtigt zu werden, ließ selbst die zum linken Flügel zählenden Sozialdemokratinnen still bleiben. „Allerdings bezeichnet sich auch heute keine SPD-Frau mehr als, 'Politiker'“, stellt die GAL-Abgeordnete Adrienne Goehler befriedigt fest.

Adrienne Goehler verkörpert den weiblichen Sturm auf die Männerbastion Parlament wie keine andere in Hamburg. Die Psychologin gilt als Erfinderin der „Frechen Frauen“, einer (natürlich) weiblichen GAL-Fraktion, die sich im März 1986 mit der Idee durchsetzte, ausschließlich Frauen ins Rennen zu schicken. Mit Erfolg übrigens, denn die Zahl von 13 Abgeordneten, die nach der Wahl im November 1986 den SPD -Mehrheitssenat zum Wanken brachte, war das bislang beste Ergebnis der GAL. Daß die Ökopax-Partei bei der Wiederholungswahl im Mai 1987 baden ging und mit etwas über sieben Prozent nur noch acht Frauen in die Bürgerschaft entsenden konnte, hatte andere Gründe. Frauen und Männer aus der GAL hatten die Meßlatte für eine Koalition mit der SPD so hoch gehängt, daß der damalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) schon gar keinen Druck mehr vom Beton-Block seiner Partei brauchte, um von einer rot-grünen Regierung Abstand zu nehmen.

Die Frauenfraktion hatte denn auch mehr mit den Gralshütern der reinen Lehre aus dem GAL-Landesvorstand zu hadern als mit dem männerdominierten Parlamentsbetrieb. Zudem waren sich die acht Frauen auch untereinander nicht grün: Fundi und Realo-Strömung waren gleich stark auf den Oppositionsbänken vertreten. Höhepunkte dieses Zerwürfnisses waren im Herbst letzten Jahres der Streik zweier Abgeordneter, peinlicherweise während der Gedenkminuten zum 50. Jahrestag der Judenpogrome, und Anfang Dezember der Rücktritt von Thea Bock, einer über die GAL hinaus populären Umweltpolitikerin.

Die partei- und fraktionsinternen Konflikte hatten für die Arbeit im Parlament verheerende Folgen. Nur einmal konnten die grünen Frauen ihr politisches Gewicht erfolgreich in die Waagschale werfen: als Vermittlerinnen im fast schon aufgegebenen Kampf um eine friedliche Lösung in der Hafenstraße. Als die umkämpften Häuser mit Barrikaden gesichert waren, glühten die Drähte zwischen dem Bürgermeister-Büro und der Kneipe, in der sich GAL-Frauen beider Strömungen Tag und Nacht aufhielten.

Auswirkungen auf die weitere Arbeit im Rathaus hatte das jedoch nicht. Schlimmer noch: Traditionelle Grünen-Themen wie die Umweltpolitik gingen unter, selbst die CDU stellte in der bisherigen Legislaturperiode mehr Anfragen zur Nutzung regenerativer Energiequellen als die GAL.

Dennoch: Die Frauenfraktion hat das Klima in der Bürgerschaft positiv verändert - zumindest Charlotte Fera ist sich da ganz sicher. „Die haben gezeigt, daß man Politik nicht immer so furchtbar ernst nehmen muß“, freut sich die Alterspräsidentin, und fügt in einer für den Hamburger taz -Lokalteil verfaßten Abschiedswidmung hinzu: „Einige werde ich richtig vermissen.“