Das erste Gen-Experiment am Menschen

■ In den USA sollen unheilbar kranke Krebspatienten der Gentechnologie als Versuchspersonen dienen

Noch ist es nicht soweit, daß Frauen dazu gezwungen werden, abzutreiben, wenn der Fetus mit gentechnischen Methoden als „fehlerhaft“ diagnostiziert wird. Doch an Werkzeugen für einen „gentechnischen Reparaturbetrieb“ wird eifrig gebastelt. Als Einstiegsdroge haben sich die Genforscher in den USA ein Experiment in der Krebsforschung ausgesucht das erhöht die Akzeptanz. Auch wenn es sich, wie die Molekularbiologin Regine Kollek feststellt, gar nicht um ein therapeutisches Experiment handelt. Die Laborarbeiten sind schon im Gange. Die Versuchsanordnung: Ein Bakterien-Gen, das Resistenz gegen das Antibiotikum Neomyzin verleiht, soll in bestimmte Antitumor-Zellen von Krebskranken eingesetzt werden, um die „markierten“ Zellen im Körper zu verfolgen (siehe Artikel unten).

Das Experiment hat schon begonnen - wenn auch noch nicht mit den Krebspatienten selbst. Die Laborarbeiten für den Versuch befinden sich jedenfalls schon „in einem fortgeschrittenen Stadium“, wie Steve Rosenberg vom regierungseigenen „Nationalen Gesundheitsinstitut“ in Washington vor wenigen Tagen gegenüber der taz erklärte. Die Behandlung der Patienten, so teilte er mit, soll in den nächsten Monaten beginnen.

Rosenberg zeigte sich überzeugt, daß es Gegnern der Gentechnologie nicht gelingen werde, den „gentherapeutischen Eingriff“ zu verhindern. Behindertenorganisationen und Bürgerrechtsgruppen haben - bislang vergeblich - versucht, das Experiment per Gerichtseinspruch zu blockieren. Schon kurz nachdem die Behörden den Versuch genehmigt hatten, stellte der Gentechnologiekritiker Jeremy Rifkin Ende Januar einen Antrag auf einstweilige Verfügung.

Am gleichen Tag erklärte er auf einer öffentlichen Sitzung der „Beratungskommission für gentechnische Fragen“ (Recombinant DNA Advisory Committee - kurz RAC genannt), man wolle den Versuch solange verhindern, bis eine gründliche öffentliche Diskussion über die Gefahren biotechnologischer Eingriffe am Menschen stattgefunden habe.

Die Beratungskommission beaufsichtigt alle biotechnologischen Forschungen, die ganz oder teilweise mit Steuergeldern finanziert werden. Ihre Mitglieder - in erster Linie Mediziner, Molekularbiologen und Genetiker aus Hochschulen und Privatindustrie - hatten sich für die Genehmigung dieses Experiments ausgesprochen.

Von „historischer Bedeutung“

„Dieser erste gentechnische Versuch am Menschen“, warnt dagegen Rifkin, „ist von historischer Bedeutung in der rasanten Entwicklung der Gentechnologie. Er bringt uns der 'Schönen neuen Welt‘ Aldous Huxleys ein Stück näher.“ Rifken und andere Kritiker der Biotechnologie streiten nicht ab, daß die gentechnische Forschung positive Seiten haben kann. Erst aber, so lautet ihre Forderung, sollten alle potentiellen Auswirkungen gründlich untersucht und diskutiert werden.

Zu diesem Zweck will die von Rifkin ins Leben gerufenen Koalition von Behinderten, Bürgerrechtlern und Arbeitsrechtsvertretern einen Untersuchungsausschuss gründen, der sich mit den sozialen Auswirkungen der gentechnischen Forschung am Menschen befaßt und mit der Beratungskommission RAC zusammenarbeitet. Die Mitglieder des Ausschusses sollen nicht aus den Rängen der Wissenschaftler kommen, statt dessen sollen Behinderten- und Frauengruppen ebenso vertreten sein wie Bürgerrechtsorganisationen und Gewerkschaften sowie die Interessengruppen aus Verbraucherschutz und Bildungswesen.

Ein Antrag auf eine Bildung eines solchen Untersuchungsausschusses durch die RAC-Kommission wurde von deren Mitgliedern - nicht unerwartet - abgelehnt. Die Überwachung sozialer Auswirkungen, so die Begründung, werde schon von verschiedenen Kongreßausschüssen übernommen.

Daß allerdings die gentechnische Wissenschaft auf längere Sicht zum Beispiel für eugenische Zwecke oder zur Diskriminierung von bestimmten Personen mißbraucht werden kann, wollte sogar unter den Wissenschaftlern kaum jemand abstreiten.

Fortschritte in der menschlichen Gentechnik, so veranschaulichte Rifkin mit einem hypothetischen Fall, könnten zum Beispiel Eingriffe ermöglichen, durch die Personen Resistenz gegen bestimmte Chemikalien erwerben. Wer garantiere dann, daß Arbeitgeber anstatt sicherere Arbeitsplätze zu schaffen, nicht nur jene einstellen, die sich einer entsprechenden gentechnischen Operation unterziehen?

Daß dieses Beispiel nicht aus der Luft gegriffen ist, belegt Martin Gerry, der während der Nixon- und Fordregierung im US-Gesundheitsministerium arbeitete. Er erinnerte daran, daß es in den fünfziger Jahren Firmen gab, die Frauen nur einstellten, wenn sie sich sterilisieren ließen, und daß Schwarze, die Träger der Sichelzellenanämie waren, keine Arbeit als Piloten bekamen. Die Sichelzellenanämie ist eine bei Schwarzen auftretende schwere Blutkrankheit. Träger jedoch, die nur ein Sichelzeichen-Gen besitzen, zeigen keine Symptome.

Mary Owen sprach für viele Behinderte, als sie warnte, die neue Technologie könne „die Beseitigung der reichen Vielfalt der Menschheit“ zur Folge haben. Behinderte würden womöglich unter Druck geraten, Eingriffe an sich vornehmen zu lassen, die sie selbst nicht wünschen, und Frauen dazu gezwungen werden, Babys, die mittels gentechnischer Methoden als „fehlerhaft“ diagnostisiert wurden, abzutreiben. Zwar ist es vom jetzt genehmigten gentechnischen Menschenversuch noch ein weiter Weg zu Rifkins Szenario einer „Schönen Neuen Welt“, doch wird an den Werkzeugen für weitere gentechnische Experimente am Menschen bereits gebastelt.

Den menschlichen Fahrplan entschlüsseln

So forderte Präsident Reagan in dem vor seinem Abgang vorgelegten Budget hundert Millionen Dollar für das „Menschliche Genomprojekt“. Im Rahmen dieses monumentalen Forschungsprojeks sollen die drei Milliarden Grundbausteine des menschlichen Erbguts entschlüsselt werden. Die Europäer wollen in ein Gemeinschaftsprojekt mit ähnlichem Ziel 20 Millionen Dollar über zwei Jahre stecken (vgl. taz -Tagesthema vom 25.11.88).

Die Koalition der Kritiker um Rifkin westlich und der Grünen östlich des Atlantik wird jedoch eifrigst bemüht sein, den Gendoktoren das Leben schwer zu machen. „Wir verschwinden nicht. Wir werden hier wieder und wieder auftauchen“, warnte Rifkin die Mitglieder des „Beratungskomitees“ (RAC), nachdem sie den Antrag, eine Untersuchungskommission zu bilden, abgelehnt hatten. Er werde eine Kampagne führen, die vergleichbar mit jener gegen die Freilassung gentechnisch veränderter Lebewesen in Freilandversuchen sei. 1983 hatte das RAC den ersten Freilandversuch zwar nach einer nur 19 Minuten dauernden Diskussion über ökologische Auswirkungen genehmigt. Doch erst fünf Jahre später, so erinnerte Rifkin jetzt die RAC -Mitglieder, konnte der Versuch durchgeführt werden, weil Kritiker vor Gerichten und in der Öffentlichkeit Krach geschlagen hatten. Wütend stellte RAC-Mitglied Gerald Musgrave fest, dies komme doch einer Drohung gleich.

Silvia Sanides