Diepgen winkt mit dem Handtuch

Die Berliner CDU mag mit der SPD nicht mehr um eine große Koalition feilschen / Noch-Bürgermeister Diepgen: Keine Lust auf „reine Alibirolle“ / Rot-grüne Verhandlungen gehen voran / Krach um Schily bei Bonner Grünen  ■  Aus Berlin Brigitte Fehrle

Die Chancen für eine große Koalition in Berlin scheinen nun endgültig gleich Null: Noch-Bürgermeister Eberhard Diepgen, der Verhandlungsführer der CDU, hat die für heute Abend angesetzte Gesprächsrunde mit den Sozialdemokraten abgesagt. Er habe nicht länger Lust, eine „reine Alibirolle“ einzunehmen, begründete Diepgen die Absage in einem Brief an SPD-Chef Walter Momper. Bevor er sich erneut mit den Sozialdemokraten an einen Tisch setze, müßten die sich entscheiden, mit wem sie ernsthaft verhandeln wollten, mit der CDU oder mit der Alternativen Liste. Walter Momper lehnte gestern in seiner Antwort an Diepgen „Vorbedingungen“ für weitere Gespräche ab. Die SPD sei aber weiterhin „ernsthaft“ zu Verhandlungen über eine große Koalition bereit, beteuerte der Kandidat.

Der Regierende Bürgermeister hatte sich nach einem Treffen mit führenden Berliner CDU-Funktionären zur Absage entschlossen. Einvernehmlich habe man sich für den vorläufigen Abbruch der Verhandlungen ausgesprochen, sagten Beteiligte. Die CDU sei nicht beleidigt, man habe allerdings keine Lust, sich von der SPD als Druckmittel gegenüber der AL benutzen zu lassen. Anlaß für den Rückzug der Christdemokraten war ein Beschluß des SPD-Landesvorstandes vom Montag abend, in dem diese eine große Koalition als den „letzten Ausweg“ bezeichnet hatten.

Die Verhandlungen zwischen der Alternativen Liste und der SPD sind derweil in vollem Gange. Zwölf Unterkommissionen beider Parteien haben den Auftrag, bis zum 22.Februar unterschriftsreife Vorlagen auszuarbeiten. Kontroversen gibt es vor allem in der Wirtschaftspolitik und der Inneren Sicherheit. Wichtiger Knackpunkt: die Berlinförderung und Kennzeichnung der Polizeibeamten. Schnelle Einigung erwarten beide Seiten in der Bau- und Mietenpolitik und beim Umweltschutz. Noch in dieser Woche werden Ergebnisse bei den sogenannten „Essentials“ erwartet. Dem Vernehmen nach besteht bereits Einigung in der Frage der Bundesgesetze und den Alliierten. Gestern stand die Gewaltfrage auf der Tagesordnung.

Über die Situation nach den Berliner Wahlen wollte eigentlich auch die Bundestagsfraktion der Grünen diskutieren. Tatsächlich gab es dann am späteren Dienstag Schelte für Schily. Anlaß waren dessen Äußerungen in einem Interview im Berliner Lokalteil der taz: Schily rät darin der SPD, in den Verhandlungen mit der Alternativen Liste bei den „Essentials“ hart zu bleiben. Er begründete das vor der Fraktion noch einmal und sagte, die AL könne nicht in einer möglichen Koalition an der Verwaltung des staatlichen Gewaltmonopols mitwirken und dieses Monopol andererseits ablehnen.

„Peinlich und unsolidarisch“, befand der Berliner Abgeordnete German Meneses, seien die Äußerungen Schilys. Die Sozialdemokraten hält er für zu „staatstragend“ und lehnt deshalb eine Koalition mit ihnen ab. Nach Meinung von Meneses ist die Alternative Liste als Ganzes für „militante Opposition“. Siggi Fries, Berliner Nachrückerin für Ellen Olms, kritisierte vor der Fraktion die „Koalitionsbesoffenheit“ der AL. Die „Essentials“ der SPD sind für sie nicht annehmbar. Sie hält eine symbolische Präsenz der Alliierten für ausreichend. „Menschenverachtenden“ Bundesgesetzen solle die AL ihre Zustimmung nicht geben. Auch von Gewalt könne man sich von vornherein nicht distanzieren. Ihr entsprechender Antrag zu den „Essentials“ wurde allerdings von der Fraktion nicht abgestimmt. Schily-Interview auf Seite 10

Siehe auch Seite 5