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■ Lou Reed hat eine neue Platte über den Moloch „New York“ herausgebracht

In diesen Tagen sollte er im Modernes spielen - das jedenfalls besagte ein Gerücht, das sich hartnäckig bis Mitte Januar hielt, dann ließ die Agentur es platzen: Lou Reed so hieß es, wahrscheinlich erst im Oktober. Dabei wäre es gerade jetzt so spannend gewesen. Sein neues Album, seit Anfang des Jahres auf dem deutschen Markt, entzweit Fans und Kritiker auf eine Weise, die den alten Lou als Schiedsrichter nötig machen würde.

Es ist ein Kozeptalbum und es heißt „New York“. Platt, sagen die einen, die tausendundeinste Beschreibung des Molochs und der ebensovielte Aufguß der Velvet Underground. Genial, meinen die anderen, ein minimalistisches Meisterwerk und eine endgültige Abrechnung mit der US-amerikanischen Zivilisation. Tatsächlich bietet Reed musikalisch nichts Neues. Einfach konstruierte Gitarrenmusik mit vielen Bezügen auf die eigene Vergangenheit, Anleihen beim alten Country und neuem Folk, Wave und Blues. Zusammen mit Mike Rathke spielt Reed selbst Gitarre, auch die meisten Soli, rauh, manchmal ungelenk. Stets ist der Unterschied deutlich hörbar, das Plattencover weist darauf hin: Reed links, Rathke rechts.

Lou Reed beschreibt New York, in 14 Liedern beinahe eine Stunde lang, und die Art, in der er das tut, ist so wenig dem Zeitgeist abgelauscht, daß das Ergebnis einzigartig ist. Eine depremierende Resignation liegt über dem ganzen Werk, eine große retrospektive Trauer, an keine Stelle Broadway, Glanz oder Kokettieren mit der Exzentrik, stattdessen die Schilderung New Yorks als des Endpunkts der Zivilisation, Zeit: 5 nach 12. „Manhatten's sinking like a rock, into the filthy Hudson, what a shock, they wrote a book about it, they said it was like ancient Rome.“ Selby's „Last Exit Brooklyn“ drängt sich auf bei vielen seiner Mikrokosmosbilder, bei Pedro, der von seinem Pa geschlagen wird, weil er zu müde zum Betteln ist und in hoffnungsloser Wut davon träumt, älter zu werden und den Alten umzubringen; beim „Great adventure“, Vater zu werden und nicht zu wissen, wofür, dem einzigen Song, wo Lou Reed sich direkt einbringt: „It might be great to have a kid that I could kick around ... a little me or she to fill up with my dreams... I hope it's true what my wife says to me, she say Lou, it's the Beginning of a Great adventure.“ Welches Abenteuer, wo doch alles längst an „Endless Circle“ ist: „Die schlechten Angewohnheiten des Vaters setzen sich beim Sohne fort, beunruhigen und verwirren ihn, die Drogen in seinen Venen bringen ihn zum Kotzen in das Gesicht, das ihn vom Spiegel anstarrt.“ Der Platte liegen französische, spanische und deutsche Übersetzungen bei und der Hinweis, sie an einem Stück zu hören wie ein Buch oder einen Film. Moviemäßig seine Schilderung der durch AIDS zur trotzig-tragischen Durchhaltedemo verkommenen „Halloween Parade“ der Schwulen aus der Christopher Street, prosaisch sein Abgesang auf den amerikanischen Traum, verpackt in das Bild des „Last American Whale“ und sein Urteil über seine Landsleute:„Stick a force in their ass and turn them over, they're done“.

Eine Platte zum Einarbeiten, viele Insider-Facts werden erst klar durch die deutschen Fußnoten, so auch die Abrechung mit dem linksliberalen Hoffnungsträger Jesse Jackson in „Good Evening, Mr Waldheim“. Und Vorsicht: Das im Radio häufig gespielte und leicht zugängliche „Sick of you“ ist eher untypisch für die Platte und entält trotzdem die Quintessenz des Gesamtwerks:„This here is a zoo an the keeper ain't you.“

RaK